"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." - Wilhelm von Humboldt

Mittwoch, 15. Januar 2020

Könige bei Tisch - Egerer Zeitung 1899

"Heut hab ich gegessen wie ein Fürst" - "es hat mir königlich geschmeckt" - "es ist ein königliches Essen" - "eine fürstliche Mahlzeit" - Wer hätte diese Ausdrücke nicht schon gehört,  wer hätte sie nicht schon gebraucht. Wie aber essen die Könige? Wie sehen fürstliche Mahlzeiten aus? Es mag nicht uninteressant sein, sich darüber zu orientieren.
Kaiser Wilhelm II. ist ein guter Esser, aber durchaus kein Gourmand. Sein Lieblingsessen sind dürre Bohnen, und wenn es beispielsweise auf der Jacht Hohenzollern für die Mannschaft dürre Bohnen gibt, dann wird für den Kaiser stets eine Extraschüssel davon aufgehoben. Was der Kaiser besonders bevorzugt, ist die gute kräftige Hausmannskost
Das Frühstück, das er meistens gleich nach dem Bade nimmt, besteht nach englischer Art aus Thee mit Brödchen, Eierspeisen, Beefsteak etc. Das Gebäck, feine Weißbrödchen, wird sowohl in Berlin wie Potsdam von Privatbäckern geliefert und nicht im Schloß selber gebacken. Das zweite Frühstück ist warm und besteht aus vier Gängen: Suppe, Fleisch und Gemüse, Braten und eine süße Schüssel.
Um fünf Uhr findet das Diner oder vielmehr wie es jetzt heißt, die königliche Mittagstafel statt. Sechs Gänge gibt es da und nicht mehr. Bei der Familientafel meist die Lieblingsgerichte des Kaisers. Wenn Gäste da sind, was allerdings nicht selten der Fall ist, da der Kaiser Gesellschaft liebt, wird häufig auch auf deren Geschmack besonders Rücksicht genommen, den sich der Kaiser besonders genau merkt.


Kaiser Wilhelm II.

Bei allen Mahlzeiten im engeren Kreise wird meist Mosel- und Rheinwein gereicht. Zu den Lieblingsgetränken des Kaisers gehört eine gute Bowle: Maibowle, Erdbeerbowle und Gurkenbowle. Bei den offiziellen Diners wird zur Suppe Madeira, Portwein und Sherry kredenzt. Zu den anderen Gerichten Rheinwein und Rothwein, meist Schloßabzüge und ganz erlesene Jahrgänge.
Zum Braten kommt dann französischer Champagner und zu den Desserts alter Tokayer und Muskat. - Daß der Kaiser ein gutes Glas Bier nicht verschmäht, ist bekannt.
Am Abend gibt es hie und da - namentlich wenn der Kaiser viel Bewegung im Freien gemacht hat, ein leichtes warmes Mahl, sonst nur Thee und kalten Aufschnitt.

Die "fürstlichste" Tafel von den Regenten Europas führt unstreitig der Kaiser von Oestereich, obwohl Kaiser Franz Joseph selber im Genuss von Speise und Trank ganz außerordentlich mäßig ist, und ihm gekochtes Rindfleisch am allerbesten schmeckt. Das darf denn auch bei keiner seiner Tafeln fehlen. Auch ein gutes echtes ungarisches Gulyas gehört zu den Lieblingsgerichten des Kaisers.
Ein Esser, über den die Köche von Beruf förmlich außer sich gerathen können, ist der König von Italien. "Minestré" - das ist dick eingekochte Suppe mit Reis und Gemüse, gehören ebenso wie Hülsenfrüchte zu seinen Lieblingsgerichten. Aus allem anderen macht er sich nichts. Die italienische Küche zieht er allen übrigen vor, während im kronprinzlichen Hause die französische Küche vorherrscht. Königin Margherita schwärmt für "dolci", für süße Speisen, sonst aber hat sie keine Gerichte, die sie besonders bevorzugen würde, es wäre denn Geflügel.
Die Königin von England zieht wieder die schottische Küche allen anderen vor. Zum Frühstück durfte der Porridac, die schottische Mehlsuppe, nie fehlen, jetzt aber trat Fleischbrühe mit Ei an deren Stelle. Fleisch ißt die Königin gerne, namentlich gesottenes Fleisch jeder Art. Auch "Haggis", eine Art Fleischwurst, gehört zu den Gerichten, die häufiger auf ihrer Tafel erscheinen. Von süßen Speisen ist es schottischer Creme, den sie bevorzugt. - Früher trank die Königin zu den Mahlzeiten Bordeaux und Champagner, jetzt seit Jahren schon nur noch Whisky mit Selterwasser gemischt.
Der Prinz von Wales führt die feinste französische Küche und kann als Feinschmecker ganz besonderer Art gelten.


Ausstellung auf Schloss Salem
Von Tisch und Tafel. Essen und Trinken in den Schlössern, Klöstern und Burgen.

Die Königin von Spanien ist ihrem heimatlichen Geschmacke treu geblieben und führt österreichische Küche. Zum Kaffee kommen Wiener Kipfel und Kaisersemmeln und auch ein Gugelhupf. Wiener Schnitzel und "Backhändel" zieht die Königin jeder anderen Fleischspeise vor, ja sogar Wiener Würstel finden den Weg in die königliche Küche. Der kleine König theilt nicht ganz den Geschmack seiner Mutter. Er ist auch im Essen national.
Der russische Zar ißt ungemein wenig, hat aber einen sehr verfeinerten Geschmack. Natürlich sind es französische Köche, die in seiner Küche das Regiment führen.
Am einfachsten von allen lebt der Papst. Das Frühstück, das der heilige Vater nach der Messe zu sich nimmt, besteht aus einem Glase Milch oder einer Schale außerordentlich weißem Milchkaffee. Das Mittagessen besteht aus etwas Suppe, zwei Eiern, hie und da ein bischen Huhn und Obst. Abends ein Bisquit, und ein Glas Milch, das ist alles.
Ein Esser, dem alles schmeckt und der nicht viel danach fragt, ob es französische oder andere Küche ist, ist der König von Portugal. Leider regelt seine Frau seinen Tisch, die stets darauf Rücksicht nimmt, daß ja des Königs Neigung zur Fettleibigkeit nicht unterstützt wird. - Dafür hält sich der König ab und zu schadlos und geht in ein Restaurant, wo er essen kann, was er will.
Ein Feinschmecker ersten Ranges ist König Milan von Serbien, der ja in allen Genüssen zu schwelgen versteht. Sein Sohn, König Alexander, liebt sein heimatliches Gericht, den Pilaw und die Wiener Küche, trotz dem er im Konak die französische Küche führt, die auch beim Fürsten von Bulgarien und beim Fürsten von Montenegro die Tafel beherrscht. Das Lieblingsgericht des letztgenannten Fürsten ist übrigens die Lachsforelle, deren bis zu 75 Pfund schwere im Skutarisee gefangen werden. Der Kronprinz Danilo aber führt französische Küche und der Champagner fließt dort im kleinen Palais oft in Strömen.
Die Küche à la france wird vom Sultan nur wenig geschätzt. Er liebt es nach der Sitten der Seinen zu essen, und Reiß und Hammelfleisch spielt da eine große Rolle, ebenso wie das Dultschas, das Eingesottene, namentlich das von Rosen.
Die einfachste Küche aber von allen führt der König von Griechenland, der über einen gut bürgerlichen Tisch nicht hinausgeht.  - (Originaltext, der nicht den heutigen Rechtschreibregeln entspricht).




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Samstag, 4. Januar 2020

Johannes 'John' Zundel - ein Komponist aus Schwaben

Was hat die Hochzeit von Prinz William mit Kate Middleton und dem 1815 geborenen Sohn eines armen Landschulmeisters aus dem Schwabenland zu tun?
Aus Kentucky kam eine Email eines Zundel-Nachfahren, dass er nach unendlich langer Suche seine Vorfahren väterlicherseits in Hessen gefunden hat. Seine Zunder-Arnold-Vorfahren mütterlicherseits aus Hochdorf/Enz und Heilbronn, die nach Indiana ausgewandert waren, sind mit Nachfahren meiner Vorfahren verbandelt.

Der kurze Blick in seinen ergänzten Stammbaum wurde zu einer interessanten Recherche, die etwas mehr Zeit in Anspruch nahm. Zeit die sich gelohnt hat. Wer kann schon von sich sagen, dass die Queen, die Familie Windsor, die Spencers, die Middletons, Sir Elton John und ein Teil des europäischen Hochadels in der Westminster Abbey ein Lied sangen, dessen Melodie der 4-fache Urgroßonkel komponiert hat?

"No! My 4th great uncle! So cool! Thank You!" kam von Lonnie aus Kentucky als er die Neuigkeiten las. In diesem Moment weiß er noch nicht, dass das Lied Love Divine, all Loves excelling eines von vier Liedern war, das anläßlich der Hochzeit von Kate & William gesungen wurde und sein Verwandter John Zundel komponiert hat. Aber er liest diesen Blog!



Johannes Zundel, im Jahre 1815 als Sohn des Schulmeisters Christoph Heinrich Zundel und seiner zweiten Ehefrau Heinrika Blankenhorn in dem schwäbischen Dorf Hochdorf an der Enz, das später durch den Fund eines Keltengrabes bekannt wurde, geboren.
Ein Multitalent mit eigener Wikipedia-Seite: Organist, Komponist und Pädagoge. Er studierte Orgelbau bei dem berühmten Orgelbauer Walcker in Ludwigsburg, reiste 1840 nach St.Petersburg
um ein Konzert auf einer Walcker-Orgel in der Lutherischen Kirche St. Peter und St. Paul zu geben. Es war das erste Orgelkonzert, das jemals auf russischem Boden gegeben wurde.
Zundel wurde Organist an der St.-Annen-Kirche in Sankt Petersburg und Kapellmeister der kaiserlichen Leibgarde. Er blieb sieben Jahre in St. Petersburg.


1815 - Johannes 'John' Zundel - 1882

In der Absicht, Orgelkonzerte zu geben, emigrierte Zundel 1847 in die USA. Da er keine geeigneten Instrumente für Konzerte fand, ließ er sich als Kirchenorganist nieder. Er war zunächst 1848 bei Reverend Farnley in der Unitarian Church in Brooklyn beschäftigt und wurde dann 1850 von Henry Ward Beecher als Musikdirektor und Organist für die Brooklyn's Plymouth Church engagiert. Zundel blieb insgesamt 28 Jahre in der Plymouth Church.
Unterbrochen wurde der Aufenthalt in den USA bei der Geburt seines Sohnes Johannes Alexander 1955, der in Stuttgart zur Welt kam. Seine Ehefrau Theresia, eine hervorragende Pianistin, verstarb 1856 in Stuttgart an Schwindsucht. Im Mai 1957 heiratete John die von einem Göppinger Papierfabrikanten geschiedene Frau, Maria Elisabeth Sapper, geboren 1819 in Heidenheim.
Im Oktober 1858 fuhr die Familie mit dem Dampfschiff Borussia von Hamburg nach New York.
Die Zundel-Kinder verheiraten sich in den USA, während Johannes im Alter von 62 Jahren nach Deutschland zurückkam, er verbrachte seinen Ruhestand in Stuttgart-Bad Cannstatt. Am 21. Mai 1882 ist Johannes 'John' Zundel in Kirchheim unter Teck verstorben und wurde dort begraben. Im Sterbebuch wurde 'Professor für Musik' vermerkt.


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Freitag, 3. Januar 2020

Belarus 2020 - Spurensuche

Zu Beginn des Jahres werden Reisepläne geschmiedet. Mein wichtigstes Ziel im neuen Jahr ist Belarus. Ein blutgetränktes Land, Architektur aus der Stalin-Zeit, mit großen Festungsanlagen und Urwäldern. In dem osteuropäischen Binnenstaat regiert seit 25 Jahren Aljaksandr Lukaschenko, der letzte Diktator Europas. 
Seit Beginn der Operation Bagration wird mein Großvater Rudolf K. an der Ostfront 1944 vermisst. Nach Öffnung der Grenzen zu Russland begann ich mit der Suche nach Informationen über meinen vermissten Großvater. Seine sterblichen Überreste wurden bisher nicht gefunden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass noch sterbliche Überreste der gefallenen Soldaten an den ehemaligen Kriegsschauplätzen gefunden werden, die Chance ist jedoch sehr gering.
Vor drei Jahren habe ich den Beitrag 12.1.44 - Brückenstützpunkt "Erlkönig" im Osten geschrieben. Inzwischen wurde eine Spruchkammerakte gefunden, die für Verwirrung sorgte. Er hat den Krieg nicht überlebt und trotzdem die Entnazifizierung? Mein Großvater war Beamter bei der Reichsbahn. Wegen Pensionsansprüchen seiner Witwe an die Reichsbahn war eine Verhandlung vor der Spruchkammer erforderlich. Mein Puls wurde schneller als ich die Akte im Lesesaal des Staatsarchivs Ludwigsburg, in dem 500.000 Spruchkammerakten gelagert werden, in Empfang nahm. Der Umfang der Akte war mehr als ich erwartet habe. Unter Anspannung blätterte ich im Lesesaal Seite für Seite um und ich hab mich kaum bewegt, so hat mich die Akte in ihren Bann gezogen. Was werde ich lesen? Wird sich das sehr positive Bild meines Großvaters verändern? 
In der Akte befand sich ein Bogen mit mehr als 100 Fragen die meine Großmutter nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet hat, ein Passfoto, ein Fragebogen zur Person der bei der Einberufung 1943 erstellt wurde: 177 cm groß, 65 kg schwer, Schuhgröße 42, mittelbraune Augen, athletisch, Rasse vorwiegend nordisch.... Die Anfragen an das Arbeitsamt und die Verwaltung seiner Heimatgemeinde waren positiv: Nachteile sind nicht bekannt, ein sehr anständiger und zurückhaltender Mann, in Parteiuniform hat man ihn nicht gesehen. - Das Verfahren wurde eingestellt.


Minsk - Ruhmeshügel


Die Rundreise beginne ich in Minsk und folge dem Weg den mein Großvater zurückgelegt hat: Witebsk, Orscha, Mogilev, Bobruisk und Karma (Korma) wo sich seine Spur verliert: "Vermisst seit dem 25. Juni bei Korma/ Raum Bobruisk/UdSSR". - 1961 wurde er laut Beschluss des Amtsgerichtes mit Wirkung vom 31.12.1945 für tot erklärt.
Im Gedenkbuch des deutschen Soldatenfriedhofes Schatkowo, nördlich von Bobruisk, nicht weit von der Beresina, ist sein Name eingetragen. Der Fluss ist bekannt durch die gleichnamige Schlacht von 1812 als die Grande Armée Napoleons dort auf dem Rückzug gegen die Truppen des Zaren kämpfte.



Letzte Ruhe in Schatkowo


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