"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." - Wilhelm von Humboldt

Montag, 6. Juni 2016

Romagne-sous-Montfaucon & Verdun

Mit vielen neuen Bildern im Kopf zurück aus Verdun. - Der erste Tag begann mit einer Gedenkfeier auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Romagne-sous-Montfaucon. Bei Clermont-en-Argonne verließen wir die Autoroute, fuhren 30 km über schmale Landstraßen durch eine liebliche Landschaft und abgelegene Dörfer, um uns herum Felder, Täler und Wälder, wo unsere Vorfahren während des 1.Weltkriegs gekämpft haben.



Das Programm für die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Ersten Weltkrieges anlässlich des 100.Jahrestages der Schlacht um Verdun in Romagne-sous-Montfaucon war sehr vielfältig. Beteiligt waren das Heeresmusikkorps Ulm, das Blasorchester Rilchingen-Hanweiler, die Sängerin Patricia Hammond, eine deutsche Pfadfindergruppe, Pastorin Wiebke Kellermann mit einer Schülergruppe aus Ratzeburg und Markus Meckel, Präsident vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.


Die deutschen Pfadfinder lasen aus Feldpostbriefen der Wandervogelkameraden Erich Krems, Hans Koch und Peter Kollwitz, Sohn der berühmten Künstlerin Käthe Kollwitz. Erich Krems kämpfte und fiel bei Verdun, Peter Kollwitz ruht in Vladslo, Flandern. Hans Koch überlebte und wurde 97 Jahre alt.


Aus dem Bericht des französischen Soldaten Louis Corti: Bin ich der einzige in meinem Loch der noch lebt? Vor meinem geistigen Auge zieht meine Familie vorbei, die ich zuhause zurückgelassen habe und vielleicht nie wieder sehen werde. Ich erblicke meine Liebsten, mein verschlafenes Dorf, meine Kinder, und ich sage zu mir selbst, dass alle Träume, die wir gemeinsam gehabt haben, niemals Wirklichkeit werden, dass wir uns niemals wiedersehen werden..... und eine furchtbare Angst durchdringt mich bis ins Mark.

Aus der Rede von Markus Meckel: Erich von Falkenhayn, General der Infanterie und Chef der 2. Obersten Heeresleitung, beschrieb die deutsche Strategie dieser Schlacht in seinen Memoiren: Die französische Armee sollte sich bei Verdun "verbluten". Für dieses Ziel war man bereit  auch die eigene Jugend zu opfern.
Heute tragen wir die Überreste des deutschen Soldaten Hans A.W. Winkelmann aus Ratzeburg zu Grabe. Er starb vermutlich am 20. August 1917 - seine Überreste wurden im März 2014 bei Forstarbeiten gefunden. Gemeinsam mit seinem Bruder Karl, der vermutlich bereits im Mai 1916 in einem Feldlazarett bei Verdun gestorben war, gehören sie zu den über 140 Kriegstoten des kleinen schleswig-holsteinischen Städtchens Ratzeburg.

Nach der Beisetzung des gefallenen deutschen Soldaten und dem Lied "Ich bete an die Macht der Liebe" wurden Kränze niedergelegt. Den Totensignalen "Aux Morts" und "Ich hatte einen Kameraden" folgte eine Schweigeminute, dann spielte das Heeresmusikkorps Ulm  die Nationalhymne der Republik Frankreich und die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland. Der Petersburger Marsch beendete die 2-stündige und sehr eindrucksvolle Gedenkfeier.



Anschließend lud der deutsche Botschafter in Frankreich, Nikolaus Meyer-Landrut, zu einem Empfang mit Imbiss in den kleinen Festsaal des Dorfes Romagne-sous-Montfaucon ein.



Unsere Soldatenfriedhöfe sind äußerst bescheiden, wir haben ja auch beide Weltkriege verloren. Aber auch die Franzosen haben keinen Pomp auf ihren Soldatenfriedhöfen. Ganz anders die Amerikaner. Verwenden wir ein Kreuz oder einen Stein für zwei Soldaten, so hat jeder bestattete amerikanische Soldat ein Marmorkreuz bzw. einen Davidstern. Der amerikanische Soldatenfriedhof in Romagne-sous-Montfaucon hat eine atemberaubende Dimension von 52 Hektar. Akkurat gepflegte Grünflächen, perfekt geschnittene alte Bäume rahmen die Kapelle und die Gräber von 14.246 Soldaten, die mehrheitlich während der Maas-Argonnen-Offensive gefallen waren, ein. Es handelt sich um den größten amerikanischen Soldatenfriedhof in Europa, sowohl was die Fläche als auch die Gräberzahl betrifft.




Starke Regenfälle hinderten uns an der Besichtigung des Montfaucon American Monument. Auf der massiven dorischen Säule von über 50 Metern thront eine Statue, die die Freiheit symbolisiert. Sie befindet sich gegenüber der Frontlinie des 1. US-Corps zu Beginn der Offensive am 26. September 1918. Vom Turm lässt sich ein weiter Teil des Maas-Argonnen-Schlachtfelds überblicken.

Aufgrund der hohen Sicherheitsvorkehrungen waren die Straßen zu den ehemaligen Schlachtfeldern um Douaumont und Fort Vaux bereits am Tag vor dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Präsidenten gesperrt. Die französische Armee und die Polizei hatten auch bereits in der Innenstadt von Verdun Straßen und Plätze gesperrt. Nach den Anschlägen von Paris gilt in Frankreich nach wie vor der Ausnahmezustand.

Am nächsten Vormittag wurde die Polizeipräsenz deutlich erhöht. Eine Videowand des TV-Senders France 2 übertrug live den Besuch von Angela Merkel und Francois Hollande auf dem deutschen Soldatenfriedhof Consenvoye, nördlich von Verdun. Auch den Besuch im Rathaus von Verdun und den Eintrag ins Goldene Buch der Stadt konnten wir live verfolgen. Die Zahl der Sicherheitskräfte nahm nochmals zu und Schlauchboote der Polizei patrouillierten auf der Maas. Die Kanzlerin, der Präsident, die deutsche Verteidigungsministerin und der Bürgermeister von Verdun, begleitet von Kindern, unzähligen Sicherheitskräften und Fotografen hatten das Rathaus verlassen und gingen zu Fuß auf der gegenüberliegenden gesperrten Uferpromenade Quai de la République zur Kranzniederlegung an das Denkmal für die Kinder von Verdun  die für Frankreich starben.


"Angela-Angela-Rufe" der Französinnen ließen die Kanzlerin auf dem Weg zum Denkmal innehalten, sie ging mit dem französischen Präsidenten und den Kindern ans Ufer der Maas und winkte über den breiten Fluss zu uns herüber. Ich hatte die Kanzlerin und den Präsidenten vor Jahren in Deutschland aus nächster Nähe erlebt: small talk und Auge in Auge. Heute hielten sie deutlich Abstand zum Volk. Durch den Ausnahmezustand haben sich Sicherheitsvorkehrungen für Kanzlerin und Präsident sichtbar verändert.


Nach der Kranzniederlegung setzten sie ihren Weg auf die Brücke fort, dort stiegen weiße Luftballons in den Himmel und die Staatslimousine wartete bereits auf unserer Seite zur Weiterfahrt nach Douaumont. Plötzlich kam Hektik bei den Sicherheitsleuten auf, Hollande stieg nicht in die wartende Limousine, er lief, gefolgt von der Kanzlerin, auf die Bürger hinter dem Absperrgitter zu. Sicherheit hin oder her, er schüttelte den wartenden Menschen die Hand, wechselte hier und da ein Wort, auch unsere Kanzlerin genoss sichtlich den Kontakt zu den Franzosen und uns wenigen Deutschen, ein weiteres Mal "shake hands" mit Angela Merkel und Francois Hollande. Fazit meiner Tochter: "Angie ist ja richtig nett". Politik ist Politik und wird von vielen Menschen und Einflüssen bestimmt, aber so von Mensch zu Mensch ist sie sympathisch.


Als wir zu unserer Wochenendtour nach Frankreich starteten haben wir nicht eine Sekunde daran gedacht, dem deutschen Botschafter, der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten zu begegnen.

UN GRAND JOUR
Ich denke der Urgroßvater wäre stolz auf uns, wenigstens eine Familie seiner 14 Urenkel nimmt Anteil an seinem Schicksal, das sein Leben im Frühjahr 1918 physisch und psychisch so sehr verändert hat.





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