"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." - Wilhelm von Humboldt

Freitag, 29. April 2016

Der Marodeur im Dienste des Dauphin - Steinheim 1693

Im Frühjahr 1693 überquerte der Dauphin mit einem 80.000 Mann starken Heer den Rhein und zog den Neckar herauf, ging am 17. Juli bey Beihingen und Großingersheim über den Neckar. In Pleidelsheim war das Hauptquartier, das Heer lagerte zwischen zwischen Pleidelsheim und Steinheim. Alle umliegenden Orte wurden geplündert und niedergebrannt. Scharen von Flüchtlingen kündigten schon früh die Annäherung der Franzosen an. Die gefürchteten "Schnapphahne" gingen dem Hauptheer voraus und schon war die ganze Bevölkerung von Steinheim , wie in den Zeiten des 30-jährigen Kriegs oft geschehen war, im Begriff sich nach Marbach mit Weib und Kindern und was sich an Habe retten ließ, zu werfen, in der Hoffnung, dort vor dem schnell vorübergehenden Durchzug eines Streif-Corps sicher zu sein. Als einer von eben jenen dem Heer vorausziehenden Marodeure, der mit einigen seiner Kameraden zuerst nach Steinheim gekommen war und durch reichliche Bewirtung und freiwillige Geschenke sich das Plündern hatte abkaufen lassen. Er hatte die Beratschlagungen zur Flucht mit angehört, auf einmal - ob er gleich vorher kein "teutsches" Wort zu verstehen sich stelle - in gutem Dialekt des Landes die Leute dringend bat, doch ja nicht nach Marbach zu gehen, das Morgen mit Steinheim selbst und allen umliegenden Orten, auf Befehl des Dauphins, der mit der Haupt-Armee nachkomme, geplündert und niedergebrannt werde.
Mit Dank wurde diese Nachricht zur Warnung genommen. Und so wandte sich der ganze Zug der Flüchtlinge, mit Ausnahme weniger, die einzeln anders wohin sich zerstreuten, fast die gesamte Gemeinde über Backnang in das Hällische Gebiet. Ein trauriger Anblick, jammernde Weiber, weinende Kinder, auf Wagen Kranke und gebrechliche Greise. Der 77-jährige, am Podagra (Gicht) leidende Pfarrer Pfaff mit seiner Gattin, der so viele Drangsale des 30-jährigen Krieges durchgemacht, verließ auch jetzt seine Gemeinde nicht. Auf einem Wagen mit wenigem Geräthe zog er mit dem Haufen der Fliehenden und hinter sich sah er das von ihm zu einem Ruhesitz seines Alters erbaute eigne Haus in Flammen auflodern, und verloren war mit allem Hausgeräthe seine sorgfältig gesammelte Bibliothek  und zahlreiche Manuscripte vieljähriger, literarischer  Thätigkeit. Sein Sohn, der junge Pfarrer Gottfried Pfaff zog mit zu Fuß, zu Fuß mit ihm seine Gattin eine 14-tägige Wöchnerin, das neugeborene Kind selbst tragend, während der Vater zwei Knaben an den Händen führte und das dritte Knäbchen, ein 4-jähriges Kind, den größten Teil des Wegs auf den Schultern trug.
Das jüngste Kind erkrankte und starb im Forsthause Rietenau. Aber der Schrecken feindlicher Ankunft, der die Flüchtlinge schnell weiter trieb, nöthigte die Eltern schon 4 Stunden später nach dem Tode das Kind in dem Rietenauer Walde zu begraben. Ja sogar von der Beerdigung weg mußten sie fliehen und eine angstvolle Nacht im Walde zubringen.

"Der Marodeur soll ein Steinheimer gewesen seyn", sagte der alte Pfaff in der dieß enthaltende handschriftlichen Nachricht. "Er wollte aber nicht genannt seyn und ritt, als er erkannt zu werden glaubte, nachdem er dem Wirth einen harten Thaler in die Hand drückte, was sonst die Herrn Franzosen nicht zu thun pflegen, auf und davon."

(Quelle: Geschichte und Topographie des Marktfleckens und ehemaligen Frauenklosters Steinheim an der Murr von M.F.A. Scholl, Pfarrer zu Steinheim - Druck 1826 / die Schreibweise entspricht nicht der gültigen deutschen Rechtschreibung)

 
Auf dem Felsen 1

Wer immer die Franzosen verraten und die Steinheimer vor der Flucht hinter die Stadtmauern der Oberamtsstadt Marbach gewarnt hat, wird ein ewiges Rätsel bleiben. Bis auf das Haus "Auf dem Felsen 1" der Familie Fuchs (meine Vorfahren) brannten beim Marbacher Stadtbrand alle innerhalb der Stadtmauer gelegenen Wohnhäuser und Scheunen ab.

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