Sie werden von Jahr zu Jahr weniger, die Zeitzeugen des 2.Weltkriegs. Meine Eltern waren zu jung, den Krieg aktiv erleben zu müssen, mein Großvater Rudolf wird seit dem 25. Juni 1944 in Russland vermisst und Karl, der andere Großvater, war beim Nachschub im Osten. Als ich 9 Jahre alt war ist er verstorben, erinnern kann ich mich nur, dass er von Pferdefuhrwerken in der Hohen Tatra erzählte. Kürzlich tauchten ein paar ausgebleichte Fotos auf, der Opa in Uniform, irgendwo in Russland.
Dass SS-Soldaten mit ihrer Blutgruppe tätowiert wurden wusste ich vom Hörensagen. Aber gesehen habe ich eine Blutgruppentätowierung noch nie, hat mich auch bisher nicht weiter interessiert.
Ich wusste nur, dass der fast Neunzigjährige, der mir heute seine Blutgruppentätowierung zeigte, den verheerenden Luftangriff der Briten am 4. Dezember 1944 auf die Stadt Heilbronn erlebt hat. In dieser Nacht war er zu Besuch bei Verwandten im Heilbronner Süden.
Er spricht nicht viel über seine Erlebnisse, ist auch sonst eher verschlossen. Ich sprach ihn auf seine Soldatenzeit an, vor Jahren schon, er sagte aber nichts über sich, nur, dass sein Bruder vermisst wäre. "Damals kam ein Brief, mehr haben wir nie erfahren...." - Ich fand etwas konkretere Angaben dazu, gab ihm die Infos, die ich bei der Onlinesuche auf der Webseite des Volksbundes fand. Das hat ihn berührt, er hatte Tränen in den Augen und dann wurde er redselig. Erzählte, dass er den Fliegerangriff und den folgenden grausamen Morgen in Heilbronn erlebt hat, als 17-Jähriger.
Er konnte trotz den Kriegswirren bei einem Onkel eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker machen. Ende Januar 1945 wurde er 18 Jahre alt. Er wurde zum Kriegsdienst einberufen, kam zu einer SS-Einheit, hat dort die liegengebliebenen Fahrzeuge repariert. Wenige Wochen im Kriegsdienst hatten eine 13 Monate lange Kriegsgefangenschaft zur Folge.
"Kam man in Gefangenschaft, wurde zuerst der linke Arm inspiziert, die Blutgruppentätowierung verriet die Spezialeinheit", erzählte er mir vor wenigen Tagen, als er mir seine Tätowierung "0" auf der Unterseite des linken Oberarms ganz spontan zeigte. "Ich zeige das sonst niemanden, aber ich freue mich so sehr, dass sie mich im Pflegeheim besuchen", und es schimmerten wieder Tränen in seinen Augen. - Ich hatte offensichtlich sein Vertrauen erworben.
Es werden weitere Besuche folgen und hoffentlich auch weitere Gespräche über die Vergangenheit, denn er ist nur körperlich eingeschränkt. Und vermutlich ist es für mich die letzte Möglichkeit mit einem Zeitzeugen der SS zu reden.
Man erlebt das immer wieder, dass Menschen bestimmte Dinge in ihrem Leben verschweigen oder gar verdrängen. Gegen Ende ihres Lebens haben Sie dann doch das Bedürfnis, bisher Unausgesprochenes loszuwerden und es nicht mit ins Grab zu nehmen.
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