"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." - Wilhelm von Humboldt

Freitag, 1. März 2019

Jugenderinnerungen meines Vaters

Jugenderinnerungen meines Vaters (*1932), zweieinhalb DIN A4 Seiten mit Schreibmaschine geschrieben, sind 15 Jahre nach seinem Tod "aufgetaucht". Er hat oft aus seiner Jugendzeit und der Kriegszeit erzählt und trotzdem waren einige Neuigkeiten zu lesen.


anno 1941 - mein Vater (rechts) mit seinen jüngeren Geschwistern

"Was war Ihr Mann für ein Mensch?" fragte der Pfarrer meine Mutter anläßlich der bevorstehenden Beerdigung. Bevor sie tief Luft holen konnte und in einen Monolog verfallen würde, gab ich die Antwort: "Es kommt darauf an wen Sie fragen, aber dieser Satz von Antoine de Saint-Exupéry aus Der kleine Prinz ist wie für ihn gemacht: Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast."
So wurde er schon als Bub erzogen, er hat zeitlebens Verantwortung für seine Familie und für die Großfamilie übernommen, oftmals bis ans Ende seiner Kräfte. Auch er hat die Tugend 'Verantwortung' an seine Kinder weitergegeben.
Das Leben dieser Generation wurde vom 2. Weltkrieg geprägt, auch wenn sie nicht Haus und Hof verloren hat oder gar fliehen musste. Die Kinder wurden, weil die Väter in den Krieg mussten, schon zeitig zur schweren Arbeit auf dem Feld herangezogen, kümmerten sich um die jüngeren Geschwister und waren Hilfe für die Großeltern. Schule war Nebensache und an Berufswünsche war gar nicht zu denken.

Schon mein Vater half anderen Menschen, so sah ich das bereits als Kind und es wurde mir durch mein Vorbild auch zur Selbstverständlichkeit, immer wenn nötig und möglich zu helfen. Es kam die Kriegszeit wo viele Männer im Feld waren und wir als Kinder schon zur Arbeit herangezogen wurden. 1943 wurde auch mein Vater eingezogen und er sagte beim Abschied zu mir: du hast schon einiges gelernt und nun musst du sehen, dass du die Mutter, den Großvater und die Großmutter unterstützt damit ihr immer Essen habt und  ich hatte noch 4 Geschwister.
Als der Vater weg war begann für mich eine harte Zeit. Die Mithilfe war damals wichtig, bei den Nachbarn musste ich Fässer putzen und dafür in die Fässer kriechen. Wir hatten eine neue Sämaschine und ich musste damit vielen Leuten im Dorf beim säen helfen. Ich steuerte die Maschine, da ich aber noch klein war konnte ich noch nicht einmal über die Maschine schauen, sondern musste an der Maschine vorbeischauen. Auch bei vielen älteren Menschen war meine Hilfe gefragt. Erst spät abends konnte ich meine Schulaufgaben machen, sofern ich nicht dabei einschlief, oftmals gab es Fliegeralarm. Die schulischen Leistungen litten darunter sehr. Im Vordergrund stand eben das Wohl der Familie und der Nächsten, so wie bis heute.
Wenn wir in den Luftschutzkeller gingen, verließen mein Großvater und ich, mit meinem jüngsten Bruder an der Hand, das Haus als Letzte. Ich stand immer mit in der Verantwortung. Mehrmals schlugen Brandbomben neben uns ein oder ein angeschossenes Flugzeug flog brennend über uns hinweg. Das Kriegsende nahte, die Ängste waren groß, Brücken wurden gesprengt. Ich half Nachbarn beim eindecken des Daches, wir waren auf dem First, als die Artillerie über unsere Köpfe hinweg schoss, wir verließen schnell das Dach, als es kurze Zeit später ruhig war, ging es wieder an die Arbeit.
Die Schulzeit ging bald zu Ende. Mein Vater kam aus russischer Gefangenschaft nach Hause, in einem körperlich sehr schlechten Zustand. Das war für mich und die ganze Familie nochmals eine harte Zeit, aber er war da, mit Rat und Hilfe!
Die Nachkriegszeit mit ihren Folgen ließ mir keine große Berufswahl, da ich ja die Oberschule verlassen hatte und wieder auf die Volksschule ging. Nach dem Rat des Großvaters lernte ich wie er, das Stuhlschreinerhandwerk. Ein 10-Stunden-Tag war nicht selten, nach Feierabend in der Schreinerei ging es mit der elterlichen Landwirtschaft weiter. Zwischen 20 und 22 Uhr, je nach Jahreszeit, war endlich Feierabend und das 6 Tage in der Woche, sonntags erledigten Vater und Mutter die Stallarbeit.
Eine neue Zeit begann mit meiner Verheiratung, ich stand wiederum in der Verantwortung des angeheirateten Familien-Clans, der stark unter den Folgen des Krieges gelitten hat. Alle behördlichen und geschäftlichen Angelegenheiten musste ich abwickeln, dies war oft langwierig und nervenaufreibend, ganz abgesehen von den gesundheitlichen Problemen in dieser Familie. Auch die Landwirtschaft der Schwiegermutter forderte nach der täglichen Akkordarbeit meine ganze Kraft.
Sehr viel Kraft kostete mich auch meine spätere Tätigkeit als Vorstand einer Weingärtnergenossenschaft, aber diese Tätigkeit war eine Bereicherung für mein Leben. Es gab mir Einblick in eine ganz andere Welt und 'Wein gibt ja Freude und Frohsinn.'

Trotz der schweren Kindheit und der Verantwortung die ein Leben lang auf ihm lastete, war mein Vater ein unterhaltsamer und humorvoller Mensch, von dem ich viel gelernt habe. - Ich bin kein Friedhofsgänger, vor dem Urnengrab in dem sich seine Asche befindet, 'finde' ich meinen Vater nicht. Er lebt  für uns aber durch viele Erinnerungen weiter, auch durch seine Gedichte und Witze, über die wir heute noch schmunzeln. Wir reden oft über ihn und das zählt für mich weitaus mehr als vor einem Urnengrab zu stehen.


.  M  .