"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." - Wilhelm von Humboldt

Freitag, 1. Januar 2021

Karl Pfizer - Was wäre wenn ... ?

Am 22. März 1824 wurde Karl Pfizer als fünftes Kind einer gut situierten bürgerlichen Familie in Ludwigsburg im Gebäude Schloßstraße/Wilhelmstraße geboren. Sein Vater war Konditormeister und Kolonialwarenhändler. Pfizer machte eine kaufmännische Ausbildung und erlernte zusätzlich als Apothekerlehrling den Beruf eines Feinchemikers. Pfizer hatte sich einen Teil seines Erbes ausbezahlen lassen und zugleich einen Kredit über 5000 Gulden bei seinem Vater aufgenommen. Dann begab er sich zusammen mit seinem Cousin Karl Erhardt, einem gelernten Konditor, 1848 auf die sechswöchige Reise nach Amerika. - Die beiden Auswanderer gründeten 1949 in Williamsburg, Brooklyn den Pharmakonzern Pfizer. 



Chas. Pfizer & Co. in Brooklyn, New York


170 Jahre später steckt die ganze Welt in einer lebensbedrohlichen Krise, die eine wirtschaftliche Krise nach sich ziehen wird. 

„Science will win“ - die Wissenschaft wird die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus stoppen – davon ist der Pfizerkonzern überzeugt: "Seit März arbeiten wir deshalb mit dem Unternehmen BioNTech an der Entwicklung eines mRNA-Impfstoffs." Seit dem 21. Dezember ist dieser Impfstoff in der EU zugelassen. Mit den Impfungen wurde begonnen. 

Die Meldung über die hohe Wirksamkeit des Corona-Impfstoffs der deutschen Firma Biontech und des amerikanischen Pharmakonzerns Pfizer hat die Welt regelrecht euphorisiert. 


Was wäre wenn es diese mutigen Auswanderer aus Württemberg in die Neue Welt nicht gegeben hätte? Was wäre wenn die vielen kreativen, neugierigen und ehrgeizigen jungen Menschen das Risiko der Überfahrt auf übervollen Segelschiffen nicht auf sich genommen hätten? Zuhause, wo der größte Teil der Bevölkerung in Elend und Armut lebte, hätten sie nie diese Möglichkeiten gehabt die ihnen die Neue Welt geboten hat. - Danke für euren Mut!


Das Geburtshaus von Karl Pfizer wurde vor vielen Jahren durch einen Neubau ersetzt. Seit Jahrzehnten fahre ich auf meinem Weg in die Innenstadt von Ludwigsburg an dem Eckhaus vorbei. Wenn die Verkehrsampel dort rot zeigte warf ich hin und wieder einen Blick nach rechts auf das Haus, wusste aber bisher nicht, dass hier der Gründer des US-Pharmakonzerns Pfizer geboren ist. Pfizer gehört heute zu den größten Arzneimittelherstellern der Welt.



Alles Gute für das neue Jahr

und bleibt gesund!



.  M  .

Freitag, 4. September 2020

Elly Heuss-Knapp & Valentin Halbmayer

Elisabeth Eleonore Anna Justine Knapp (1881 Straßburg - 1952 Bonn), bekannter unter dem Namen Elly Heuss-Knapp, war die Ehefrau von Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten (1949 - 1959) der Bundesrepublik Deutschland.

Elly Knapp legte 1899 ihr Lehrerinnenexamen ab, studierte Volkswirtschaft, hielt politische Vorträge und revolutionierte die Radiowerbung. Sie wurde 1946 Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg und sie war Gründerin des Deutschen Müttergenesungswerkes.
Und das in einer Zeit als Frauen in Deutschland kein Wahlrecht hatten und es Frauen auch nicht erlaubt war ohne Zustimmung des Ehemannes arbeiten zu gehen oder ein Bankkonto zu eröffnen. Erst nach 1969 wurde eine verheiratete Frau als geschäftsfähig angesehen. 


Elly Knapp anno 1904

Mit Elly Heuss-Knapp habe ich nicht nur denselben Geburtstag, wir haben auch gemeinsame Vorfahren. Ihr 6-facher Urgroßvater Carl Valentin Halbmayer (* um 1606 † 1672) ist mein 8-facher Urgroßvater. Er war Stadthauptmann (-kapitän) und Wirt "Zum Schwarzen Bären" in Stuttgart. Geboren sind die älteren Kinder in Unterschwandorf bei Calw.



.  M  .





Samstag, 11. Juli 2020

Fahr mal hin - Eberbach am Neckar

Wir bleiben wegen den Corona-Reise-Einschränkungen diesen Sommer im Ländle und erkunden unser Bundesland Baden-Württemberg. Genießen unterwegs die ess- und trinkbaren "Schätze" unseres Landes. Mit Registrierung und "gesetzlichem" Abstand zu andern Gästen löscht ein kühles Bier oder ein Gläschen Wein in einer Gartenwirtschaft den Durst.


Kenner trinken Württemberger
Samtrot Rosé, ein "Schätzchen" von den Hessigheimer Felsengärten

Die Sommertour begann bereits in Eberbach am Neckar. Das Städtchen wurde mit seiner Viktoria-
Torte weltberühmt. Anno 1958 rollte die Begum Aga Khan im Rolls Royce am Neckar entlang zum
damaligen Kurhaus. Sie schrieb sich auch in das Goldene Buch ein. Die dreifache Olympiasiegerin im Skirennlauf, Katja Seizinger, ist in Eberbach aufgewachsen.



Café Victoria in Eberbach

In den vergangenen Jahrhunderten verließen viele Eberbacher ihre Heimat und wanderten nach Nordamerika aus. Der berühmteste Auswanderer ist der Bäckermeister Konrad Beisel, dessen Familie heute noch eine Bäckerei mit Blick auf den Neckar betreibt.
Conrad Beissel, wie er sich später nannte, wanderte 1720 nach Pennsylvania aus und gründete im gelobten Land der religiösen Toleranz das Kloster Ephrata. Auf der History-Seite von Eberbach finde ich zu meiner Überraschung den Enkel meines 9-fachen Urgroßvaters Jacob Weiser (*um 1625), Schultheiß in Großaspach:
"Der Württemberger Conrad Weiser (1696-1760) kam schon als Jugendlicher nach Pennsylvania und wuchs eine Zeit lang beim Stamm der Mohawk aus dem Volk der Irokesen auf. Später war er Farmer, Soldat, Dolmetscher und geschätzter Diplomat in indianischen Angelegenheiten. In den Jahren 1735 bis 1743 lebte er als Bruder Enoch unter den Hausleuten in Ephrata."

Eberbacher Auswanderer gründeten zur Zeit des Eisenbahnbaus die Stadt Hebron in North Dakota. Sie warben in ihrer Heimat erfolgreich für das 'gelobte Land' an der kanadischen Grenze. Es folgten u.a. die Familien Krauth und Conrath.


der Eberbacher Eber auf dem Brotlaib der Bäckerei Beisel

Die Krauths und die Conraths waren der eigentliche Anlass nach Eberbach zu fahren und dort das Stadtarchiv zu besuchen. Der Uhrmacher Leonhard Krauth (1805 Eberbach - 1880 Sindelfingen) wird mich weiterhin beschäftigen. Zeitgleich macht sich ein Schriftsteller aus New York mit der Familie Conrath ans Werk. Für das Geschichtsblatt 2021 der Stadt Eberbach werden wir zwei Beiträge über die Familie Leonhard Krauth und über den Künstler Ted Conrath und seine Vorfahren schreiben. 


.  M  .


Dienstag, 7. Juli 2020

Diese Zelle ist ein Loch - Lina Haag

Auf meinem Weg vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart ins Dorotheenquartier komme ich am Hotel Silber vorbei, das ganz knapp dem Abriss zugunsten eines Einkaufs- und Wohnviertels im Herzen der Stadt Stuttgart entgangen ist.
Ich habe die ehemalige Gestapo-Zentrale bereits nach der Eröffnung im Dezember 2018 besucht. Meine Schritte werden auch heute wieder langsamer je näher ich dem Eingang komme. Ich stemme die schwere Türe auf, gehe schnurstracks durch das Entrée, den langen Flur Richtung Treppenhaus entlang und hinunter in den Keller. Auch heute bin ich wieder alleine im Kellergeschoss, wo einst Festgenommene auf das Verhör durch die Geheime Staatspolizei gewartet haben.



ehemalige Verwahrzellen im Keller des Hotel Silber





diese Zeilen sind von Lina Haag, entnommen aus ihrem Buch
Eine Hand voll Staub - Widerstand einer Frau 1933 - 1945

Ihr Buch zeugt vom Widerstandswillen einer Einzelnen und ist aber auch eine Liebesgeschichte ganz eigener Art. In Form eines Briefes hat Lina Haag 1944 ihre Erinnerungen an die Zeit ab 1933 festgehalten. Es ist die Lebensgeschichte einer mutigen Frau, Kommunistin und verheiratet mit dem Journalisten Alfred Haag (1904-1982), der 1930 als jüngster KPD-Abgeordneter in den Stuttgarter Landtag gewählt worden war. 1933 wurde Alfred Haag von den Nationalsozialisten verhaftet. Aus dem KZ Oberer Kuhberg bei Ulm kam er 1935 nach Dachau und von dort ins berüchtigte KZ Mauthausen. Lina Haag wurde ebenfalls jahrelang in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern festgehalten und gepeinigt. Nach ihrer Freilassung schaffte sie es mit dem Mut der Verzweiflung zu Heinrich Himmler vorzudringen, dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, um dort für die Freilassung ihres Mannes zu kämpfen. Sie hatte Erfolg - doch wurde ihr Mann nach der Freilassung zur "Bewährung" an die Ostfront geschickt. Er kehrte erst 1948 aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager zurück. 

1947 wurde "Eine Hand voll Staub" als eines der ersten Dokumente des Widerstandes veröffentlicht.

Die letzte Auflage ist aus dem Jahre 2004. Die Generation der Zeitzeugen stirbt und die Erinnerungskultur wird sich verändern. Gerade deshalb empfehle ich jungen Menschen dieses Buch zu lesen. Lina Haags Leben fasziniert, berührt und fesselt zu gleich. Es wäre ein Verlust dieses Buch nicht zu lesen!



.  M  .

Mittwoch, 1. Juli 2020

Medizin der Schwaben - Eau de Vie

der liebe Gott 
hat nicht gewollt
dass edles Obst
verderben sollt
drum hat er uns
um gut zu leben
den Schnaps als
Medizin
gegeben


Und genau deshalb lassen wir, wie viele Generationen im Schwabenland zuvor, das edle Obst nicht verderben. Vater und Onkel die wir hätten fragen können sind verstorben, so mussten wir uns selbst mit der Materie beschäftigen und experimentieren. Was aus den edlen Äpfeln wurde, kann sich durchaus sehen bzw. trinken lassen. 



eine große Apfelernte kündigt sich an ... 


Ein alter Stuttgarter Schwob nannte die Hochprozentigen "eingefangener Sonnenschein", eine doch sehr positive Umschreibung des eher negativen besetzten Wortes 'Schnaps'. Schnaps wird eher mit Alkoholiker anstatt mit Genuss in Verbindung gebracht. Der Franzose nennt den eingefangenen Sonnenschein 'Eau de Vie', wörtlich übersetzt: Lebenswasser. Rein sprachlich hört sich auch das 'Feuerwasser' aus der Wildwestliteratur weitaus besser an als das ordinäre Wort 'Schnaps'. 


.  M  . 



Service des Prisonniers de Guerre - Kriegsgefangenenpost

Vor 6 Jahren machte ich mich auf die Suche nach den Vorfahren eines Freundes. Am Ende der Recherche entstand eine interessante und sehr weit zurückreichende Familiengeschichte. Zwischen Gebetbuch und Familienfotos, die er mir für die Familiengeschichte zur Verfügung gestellt hat, war auch der Totenzettel seines Großvaters Hermann: “gestorben anfangs August 1944 im Lazarett in Russland" - er wurde nur 31 Jahre alt, hinterließ Eltern, eine junge Ehefrau und zwei kleine Kinder. Wo er bestattet wurde war nicht bekannt.

Das Schicksal von Opa Hermann ließ mich nicht los  - gestorben im Lazarett in Russland - durfte so nicht stehen bleiben. Die Onlinesuche beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge war erfolglos und das Auskunftsbüro in Moskau existierte nicht mehr.
Ich stellte einen Suchantrag beim Deutschen Roten Kreuz in München. Wo sonst eine Briefmarke klebt, war der große Briefumschlag mit der Antwort gestempelt:

SERVICE DES PRISONNIERS DE GUERRE - KRIEGSGEFANGENENPOST GEBÜHRENFREI 

Der Brief enthielt Karteikarten aus dem Frontaufnahmelager und aus dem Lazarett. Die Kriegsgefangenenakte besteht aus einem Fragebogen des russischen Innenministeriums über die persönlichen Daten, über die Familie, die soziale Herkunft,Besitzstand der Eltern, Besitzstand des Kriegsgefangenen, schulische Bildung, berufliche Kenntnisse, Militärausbildung, Dienstgrad, Dienststelle, Fremdsprachenkenntnisse, Verwandtschaft in der UdSSR, Gerichtsverfolgung, Auszeichnungen, Datum und Ort der Gefangennahme. 
Der Obergefreite Hermann S. kam am 6. Oktober 1943 bei Newel (Gebiet Pskow) in russische Gefangenschaft. Am 27. Oktober 1943 hat er im Frontaufnahmelager Nr. 41 den Fragebogen unterschrieben, am 5. Dezember 1943 kam er aus Ostaschkow in das Lager nach Tscherepowez.
Die Akte enthält außerdem einen Totenschein vom 3. August 1944 mit der Todesursache "Dystrophie 3. Grades" und einen Bestattungsschein des städtischen Friedhofes Tscherepowez vom 5. August 1944, im Gebiet Wologda, 500 km nördlich von Moskau.



Städtischer Friedhof Tscherepowez
Gedenkplatz für die dort ruhenden Kriegsgefangenen

Auf dem städtischen Friedhof im Südwesten der Stadt, wurden die Kriegsgefangenen, die im Lager von Tscherepowez verstarben, beigesetzt. In der Nachkriegszeit wurde die Parzelle der Kriegsgefangenen durch Beisetzung von Ziviltoten vollständig überbettet. Auf dem Friedhof ruhen: 2.830 Deutsche, 26 Spanier, 109 Finnen, 7 Moldauer, 8 Italiener, 9 Litauer, 44 Polen, 76 Ukrainer, 152 Österreicher, 43 Letten, 13 Franzosen, 16 Jugoslawen, 434 Ungarn, 400 Rumänen, 23 Tschechen, 9 Japaner, je 1 Russe, Holländer, Este, Amerikaner, Luxemburger, Schweizer und Belgier. Insgesamt 4.206 Kriegsgefangene. - Freund und Feind im Tod vereint.
Im Jahr 2007 hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. einen Gedenkplatz für alle dort ruhenden Kriegsgefangenen gebaut.

Tod durch verhungern wurde mit Dystrophie 3. Grades umschrieben. Der Lagerspiegel vom Lager Tscherepowez beschreibt die damaligen Verhältnisse: Unterkunft in Baracken, schlechte und vollkommen unzureichende Verpflegung, kaum Medikamente und Verbandszeug. Der Arbeitseinsatz ging über 10 Stunden täglich in der Holzverarbeitung, beim Torfstich, bei Erdarbeiten, in der Metallzeche, in der Kolchose und im Pferdelazarett.
90 % der Patienten starben an Fleckfieber, Ruhr, Typhus, Tbc, Dystrophie, Ödemen, Erfrierungen und Unfällen.

Die Ungewissheit über Hermanns Schicksal und seine letzte Ruhestätte ist nach 76 Jahren beendet. 


.  M  .

Sonntag, 28. Juni 2020

Belarus - Eine virtuelle Reise nach Korma

Eigentlich käme ich heute aus Belarus zurück. Mit meiner Tochter wäre ich durch Belarus gereist, das wichtigste Ziel wäre das Dorf Korma gewesen. Korma liegt westlich der Landstraße P31 bei Dubrova, zwischen Paritschi und Osaritschi. Und südöstlich der Hauptstadt Minsk.
Bei Korma verliert sich am 25. Juni 1944 die Spur meines Großvaters Rudolf. Die Rote Armee begann am 23. Juni 1944 die "Operation Bagration". Innerhalb kürzester Zeit wurde die Heeresgruppe Mitte zurückgedrängt, teilweise eingekesselt. Die "Operation Bagration" kennt kaum jemand. Doch sie bescherte den Deutschen die größte militärische Niederlage aller Zeiten. Eine halbe Million deutscher Soldaten starben und die komplette Heeresgruppe Mitte hörte praktisch auf zu existieren.
Die Soldaten der 129. Infanterie-Division, die der Heeresgruppe Mitte angehörte, flohen westwärts. Mein Großvater Rudolf K. hatte eine Verletzung an der Hand, wollte trotz Warnungen seiner Kameraden an den Verbandsplatz zurück, dann rollten die Panzer der Roten Armee auf ihn zu....  Seine sterblichen Überreste wurden bis heute nicht geborgen. Sein Kriegskamerad Xaver B. hat meiner Großmutter über den letzten Tag ihres Ehemannes berichtet.
Vermisst ist ein Wort ohne Schlusspunkt. Von meinem Großvater gab es kein Lebenszeichen. Keine Erkennungsmarke zeigte sich irgendwo im Schlamm, keine Uniformfetzen, keine Knochen für ein Grab. Der Großvater wurde zum Geist, lebte nicht, starb nicht. Das Gefühl, er könnte plötzlich vor der Türe stehen bleibt.

In Witebsk hätten wir das Geburtshaus von Marc Chagall besucht, hätten die Städte Orscha und Mogilev besichtigt, vielleicht in einem der vielen Seen oder der Beresina geschwommen, hätten die Rollbahn (heute Autobahn M1) überquert. Wir hätten mit Weißrussinnen und -russen gesprochen die den Krieg und die Schikanen der Deutschen Wehrmacht er- und überlebt haben. 
In Minsk hätten wir das Staatliche Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges besucht und wären in der Stalin Line mit einem russischen Panzer gefahren. Doch zuvor wären wir mit Sommerblumen auf den Deutschen Soldatenfriedhof Schatkowo bei Bobruisk. Dort ist der Name meines Großvaters im Gedenkbuch eingetragen. Besucht hätten wir auch die allgegenwärtigen weißrussischen Kriegsdenkmäler und die Gedenkstätte Chatyn. Sie erinnert an die über 600 'verbrannten Dörfer'. die mitsamt ihren Einwohnern im nationalsozialistischen Genozid und durch die NS-Politik der 'verbrannten Erde' in Weißrussland seit Beginn des Zweiten Weltkrieges vernichtet wurden. 

Der Großvater beschäftigte mich immer wieder. Als Kind wusste ich nicht was "vermisst" bedeutet. Vermisstes wird oft wiedergefunden, ob er doch eines Tages vor der Türe steht? Ich kenne ihn nur von einem Soldatenfoto in schwarz-weiss aus dem Wohnzimmer meiner Großmutter. Sie hat seine Feldpostbriefe immer wieder gelesen und am Ende ihres Lebens die Briefe verbrannt. Was ihn an der russischen Front beschäftigt hat und was er seiner Familie mitgeteilt hat, ging in Flammen auf.


Memorial Operation Bagration

In Korma hätte ich ihm diese Woche so nah sein können. Neben dem Denkmal wollten wir auf eine Wiese liegen, in die Wolken am weißrussischen Himmel schauen, vielleicht hätten wir ihn sagen hören: Da seid ihr endlich, ich habe lange auf euch gewartet! Meine Sucher-Seele hätte dort ihren Frieden gefunden. - Mehr hätte ich für meinen Großvater nicht tun können.
Die drei Kinder meines Großvaters verpassten die Chance nach Belarus zu reisen. Mit unserer geplanten Reise, die leider durch Corona verhindert wurde, sind wir auf dem richtigen Weg. Die Enkelgeneration will - im Gegensatz zur Generation der Kriegskinder - Licht in die dunkle Vergangenheit bringen. Und letztendlich hat das Schicksal meines Großvaters mein Leben erst ermöglicht. Wäre er nach Hause gekommen, wären sich meine Eltern nie begegnet.


.  M  .