Vor 6 Jahren machte ich mich auf die Suche nach den Vorfahren eines Freundes. Am Ende der Recherche entstand eine interessante und sehr weit zurückreichende Familiengeschichte. Zwischen Gebetbuch und Familienfotos, die er mir für die Familiengeschichte zur Verfügung gestellt hat, war auch der Totenzettel seines Großvaters Hermann: “gestorben anfangs August 1944 im Lazarett in Russland" - er wurde nur 31 Jahre alt, hinterließ Eltern, eine junge Ehefrau und zwei kleine Kinder. Wo er bestattet wurde war nicht bekannt.
Das Schicksal von Opa Hermann ließ mich nicht los - gestorben im Lazarett in Russland - durfte so nicht stehen bleiben. Die Onlinesuche beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge war erfolglos und das Auskunftsbüro in Moskau existierte nicht mehr.
Ich stellte einen Suchantrag beim Deutschen Roten Kreuz in München. Wo sonst eine Briefmarke klebt, war der große Briefumschlag mit der Antwort gestempelt:
SERVICE DES PRISONNIERS DE GUERRE - KRIEGSGEFANGENENPOST GEBÜHRENFREI
Der Brief enthielt Karteikarten aus dem Frontaufnahmelager und aus dem Lazarett. Die Kriegsgefangenenakte besteht aus einem Fragebogen des russischen Innenministeriums über die persönlichen Daten, über die Familie, die soziale Herkunft,Besitzstand der Eltern, Besitzstand des Kriegsgefangenen, schulische Bildung, berufliche Kenntnisse, Militärausbildung, Dienstgrad, Dienststelle, Fremdsprachenkenntnisse, Verwandtschaft in der UdSSR, Gerichtsverfolgung, Auszeichnungen, Datum und Ort der Gefangennahme.
Der Obergefreite Hermann S. kam am 6. Oktober 1943 bei Newel (Gebiet Pskow) in russische Gefangenschaft. Am 27. Oktober 1943 hat er im Frontaufnahmelager Nr. 41 den Fragebogen unterschrieben, am 5. Dezember 1943 kam er aus Ostaschkow in das Lager nach Tscherepowez.
Die Akte enthält außerdem einen Totenschein vom 3. August 1944 mit der Todesursache "Dystrophie 3. Grades" und einen Bestattungsschein des städtischen Friedhofes Tscherepowez vom 5. August 1944, im Gebiet Wologda, 500 km nördlich von Moskau.
Städtischer Friedhof Tscherepowez
Gedenkplatz für die dort ruhenden Kriegsgefangenen
Auf dem städtischen Friedhof im Südwesten der Stadt, wurden die Kriegsgefangenen, die im Lager von Tscherepowez verstarben, beigesetzt. In der Nachkriegszeit wurde die Parzelle der Kriegsgefangenen durch Beisetzung von Ziviltoten vollständig überbettet. Auf dem Friedhof ruhen: 2.830 Deutsche, 26 Spanier, 109 Finnen, 7 Moldauer, 8 Italiener, 9 Litauer, 44 Polen, 76 Ukrainer, 152 Österreicher, 43 Letten, 13 Franzosen, 16 Jugoslawen, 434 Ungarn, 400 Rumänen, 23 Tschechen, 9 Japaner, je 1 Russe, Holländer, Este, Amerikaner, Luxemburger, Schweizer und Belgier. Insgesamt 4.206 Kriegsgefangene. - Freund und Feind im Tod vereint.
Im Jahr 2007 hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. einen Gedenkplatz für alle dort ruhenden Kriegsgefangenen gebaut.
Tod durch verhungern wurde mit Dystrophie 3. Grades umschrieben. Der Lagerspiegel vom Lager Tscherepowez beschreibt die damaligen Verhältnisse: Unterkunft in Baracken, schlechte und vollkommen unzureichende Verpflegung, kaum Medikamente und Verbandszeug. Der Arbeitseinsatz ging über 10 Stunden täglich in der Holzverarbeitung, beim Torfstich, bei Erdarbeiten, in der Metallzeche, in der Kolchose und im Pferdelazarett.
90 % der Patienten starben an Fleckfieber, Ruhr, Typhus, Tbc, Dystrophie, Ödemen, Erfrierungen und Unfällen.
Die Ungewissheit über Hermanns Schicksal und seine letzte Ruhestätte ist nach 76 Jahren beendet.
. M .
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