"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." - Wilhelm von Humboldt

Samstag, 24. November 2018

Georg Friedrich Zundel - Clara Zetkin - Paula Bosch

Meist beginnt eine Recherche ganz 'harmlos' mit Geburtsort, Geburtsdatum, Heirat und Todestag. Hinzu kommt der Beruf und eventuell ein Amt innerhalb der Gemeinde und vielleicht gibt es noch Auswanderer innerhalb der Familie, das war es dann meist auch schon.
Man kann aber auch ganz unbeabsichtigt bei der Frauenrechtlerin Clara Zetkin und Paula Bosch, Tochter von Robert Bosch, und Lenin "landen".
Über die Auswanderung des Ehepaares Zundel-Arnold nach Nordamerika habe ich bereits berichtet. Vorfahre des Auswanderers Johann Friedrich Arnold ist der Murrer Ochsenwirt Hans Leonhard Pfuderer, mein 6-facher Urgroßvater

Die Familie Zundel, die Vorfahren seiner Ehefrau, hat ihre Wurzeln in der Schweiz. "Alt" Hans (Johannes) Zundel kam nach dem 30-jährigen Krieg und vor 1666 aus Sargans (Sankt Gallen, Schweiz) nach Wiernsheim im Heckengau. Er war Zimmermann und später Zunftmeister des Maulbronner Zimmerhandwerks. Nach der Herkunft dieser Einwandererfamilie wurde eine Wiernsheimer Straße in "Schweizer Straße" benannt. Der älteste namentlich bekannte Zundel ist Nicolaus, anno 1501 in Sargans geboren. 

Das Leben Georg Friedrich Zundels (*1875 Iptingen), Sohn des Wiernsheimer Löwenwirts und Bierbrauers, der mit 14 Jahren sein Elternhaus verließ und nie wieder betrat, ist sehr außergewöhnlich. Nach einer Malerlehre in Pforzheim war er Dekorationsmaler in Frankfurt, studierte Kunst in Frankfurt und Stuttgart. Zundel war in den Jahren des Studiums mit sozialistischen Ideen in Kontakt gekommen. Er lernte die in Stuttgart als Redakteurin der SPD-Frauenzeitung Die Gleichheit arbeitende sozialistische Politikerin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin kennen. Er heiratete 1899 die achtzehn Jahre ältere Clara und lebte mit ihr von 1903 bis zur Scheidung 1926 in einem Landhaus in Sillenbuch (Stuttgart), das zu einem beliebten Aufenthaltsort für internationale Führer sozialistischer Organisationen wurde. Auch Lenin machte dort 1907 Station.

Nach der Scheidung von Clara Zetkin heiratete er 1927 Paula Bosch, die er schon gemalt hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Mit ihr zog er auf den von Robert Bosch für seine Töchter gebauten Berghof bei Tübingen, wo er sich neben der künstlerischen Tätigkeit auch der bäuerlichen Arbeit zuwandte.
Aus der Ehe mit Paula Bosch ging als einziges Kind der Sohn Georg Zundel hervor. Friedrich Georg Zundel erhielt ein Ehrengrab auf dem Tübinger Stadtfriedhof.


Paula Zundel-Bosch in der Tübinger Kunsthalle - 1972

Paula Zundel-Bosch und ihre Schwester Margarete Fischer-Bosch stifteten 1971 die Kunsthalle Tübingen, um eine dauerhafte Bleibe für Zundels Werke zu schaffen. Für die Verdienste um die Stadt Tübingen wurde Paula Zundel, wie auch ihre Mutter Anna Bosch, zur Ehrenbürgerin der Stadt Tübingen ernannt.


---->  Georg Friedrich Zundel   <----


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Mittwoch, 14. November 2018

Happy Birthday Prinz Charles

His Royal Highness, Charles Philip Arthur George, Prince of Wales und Duke of Cornwall, meist kurz Prinz Charles genannt, wird 70.
Viel wurde über ihn geschrieben. Viele Menschen halten ihn für einen schrägen königlichen Kauz weil er mit seinen Blumen spricht. Er war schon ein Grüner, bevor hierzulande Langhaarige das Thema entdeckten. Seit Anfang der 80er betreibt Charles auf seinen Ländereien ökologischen Anbau. Der Spott, den er einst erntete - "der spricht mit seinen Pflanzen" - ist Respekt gewichen.

Prinz Charles: „Wir müssen aufpassen, nicht alles, was vergangenen Generationen als bewahrenswert galt, aus dem Fenster zu schmeißen. Wir könnten das eine oder andere eines Tages vermissen".





Happy Birthday Prinz Charles und für diese klugen Worte liebe ich seine königliche Hoheit !



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Sonntag, 11. November 2018

Waffenstillstand - 11. November 1918 - 12 Uhr deutscher Zeit

Mit einer historischen Geste haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der Opfer des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren gedacht. Merkel bedankte sich bei Macron für die Einladung nach Compiègne an die Stätte des Waffenstillstands von 1918. Es sei das erste Mal seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, dass ein Bundeskanzler mit dem französischen Präsidenten an diesem Ort gewesen sei, sagte sie am Samstagabend in Paris. Das sei eine „symbolische Geste“. „Insofern ist dieser Tag nicht nur Mahnung, sondern er ist auch Ansporn.“

Am Morgen des 11. November 1918 zwischen 5:12 Uhr und 5:20 Uhr französischer Zeit unterzeichneten beide Delegationen den Waffenstillstand von Compiègne.
Der Waffenstillstand trat um 11 Uhr französischer Zeit in Kraft (12 Uhr deutscher Zeit) und war zunächst auf 36 Tage begrenzt, beendete jedoch faktisch den Krieg.

In dem verheerenden Krieg von 1914 und 1918 starben fast neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten.


Poppies - die Mohnblume wurde nach dem 1. Weltkrieg im englischsprachigen Raum zu einem Symbol für das Gedenken an die gefallenen Soldaten


Heute sei der Wille da, „alles zu tun, um eine friedlichere Ordnung auf der Welt zu schaffen“, sagte Merkel.
Macron verteidigte seinen Vorstoß, zum Schutz vor Russland eine europäische Armee aufzubauen....
Zum Schutze vor Russland? Wurde Russland nicht von Napoleon und von den Deutschen angegriffen? Die amerikanische Hetze wirkt...

Mein Großvater wird seit 25. Juni 1944 in der Nähe von Minsk vermisst, im 2. Weltkrieg kamen 27.000.000 Millionen Russen ums Leben. Und der Westen baut eine europäische Armee zum Schutz vor Russland auf? Die Politik lässt keine Gelegenheit aus, die Russen wieder als Feindbild darzustellen. Hat die Politik wirklich nichts begriffen? 


Ein Bäcker aus Novosibirsk lernte in Frankreich Baguettes und Croissants backen und eröffnete in Sibirien eine Bäckerei mit einem kleinen Café. Natalja, die Freundin meiner Tochter, kauft sich dort jeden Tag ein Croissant, obwohl die Eltern sagen, dass das Croissant viel zu teuer ist. Sie gönnt sich aber weiterhin täglich "ihr" Croissant. Das Croissant erinnert sie jeden Tag an den vergangenen Sommer in Berlin, an ihren ersten Aufenthalt in Deutschland, wo sie zum ersten Mal ein Croissant gegessen hat. Vor ein paar Tagen bedankte sie sich bei ihrem Croissant-Bäcker dafür, dass er jeden Tag für sie ein Croissant backt. 

Natalja und meine Tochter skypen jeden Sonntag. Natalja spricht deutsch und meine Tochter russisch. Sie notieren sich die Fehler ihrer Gesprächspartnerin und am Ende der Skype-Stunde besprechen sie ihre Notizen. Eine deutsch-russische Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen wie sie besser kaum sein kann. Sie wollen, wie andere junge Menschen, friedlich auf unserem Planeten leben. Diesem grenzüberschreitenden Wunsch stellen sich wiederum machtgeile Männer in den Weg, es geht um Machtgelüste, um Bodenschätze, um Rüstungsindustrie, um Geld, um viel Geld ... man trifft sich an historischen Stätten, umarmt sich, gedenkt den Millionen gefallener Soldaten und rüstet gleichzeitig wieder auf, weiß offensichtlich nicht, wonach sich die Jugend in ihren Ländern sehnt. 
Das französische Croissant hat für die Jugend offensichtlich Symbolcharakter. Für mich gehört ein Croissant seit meinem ersten Aufenthalt vor gut 40 Jahren in Paris zu jedem Frühstück in Frankreich. Der Duft eines Croissants bedeutet für mich Freiheit und Erinnerungen an unendlich viele Reisen nach Paris. Butter und Erdbeermarmelade sind die Krönung eines Croissants. Längst hat das Croissant die Grenzen überschritten, aber es geht nichts über ein Croissant eines französischen Bäckers. Natalja wünsche ich, dass sie eines Tages in einem französischen Café vor einem Croissant und einer Tasse Milchkaffee sitzen kann - zusammen mit ihrer deutschen Freundin wäre die Krönung meines Wunsches!




.  M  .

Dienstag, 30. Oktober 2018

1918 - Geht denn der schreckliche Krieg nicht bald aus - 2018

Einhundert Jahre sind seit Ende des Ersten Weltkriegs vergangen. Bei Kriegsausbruch 1914 glaubten viele, das "Abenteuer" Krieg werde nach wenigen Wochen mit einem schnellen Sieg enden. Entsprechend groß war die Begeisterung, die aber bald blankem Entsetzen wich.

Das Stadtarchiv Marbach zeigt in seiner Ausstellung die Kriegsbegeisterung, die zu einem übersteigerten Patriotismus führte, der das Empfinden vieler Menschen erfasste, aber auch die moderne technische Kriegsführung, die schließlich viele Menschenleben kostete. Weitere Themen sind Verpflegung, Hygiene, medizinische Versorgung der Verwundeten und schließlich das Kriegsende und die Heimkehr der oftmals dauerhaft an Leib und Seele gekennzeichneten Soldaten.

Daneben werden auch die Ereignisse vor Ort in Marbach und Rielingshausen, nicht zuletzt anhand von Einzelschicksalen, beleuchtet. In der Ausstellung sind zahlreiche Fotos, Postkarten und Schriftstücke sowie Uniformen, Kopfbedeckungen, Ausrüstungsgegenstände, Urkunden, Orden, Grabenkunst, Literatur, Spielzeug und Reservistenandenken zu sehen.

Elastolinsoldaten - Kraftradmelder 

Wir beteiligen uns an der Ausstellung mit einer Leihgabe von 15 besonderen Elastolinsoldaten, hergestellt bei der Firma O. & M. Hausser in Ludwigsburg.

Die Ausstellung ist vom 15. November 2018 bis 28. Februar 2019 in der Volksbank Marbach zu sehen. 
Öffnungszeiten: 
Mo 9 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr
Di  9 bis 12 Uhr
Do 9 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr
Fr 14 bis 17 Uhr


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Dienstag, 18. September 2018

Urach - Herberge 'Zum Goldenen Kreuz'

Einer meiner Lieblingsplätze im Südwesten ist das Café vom Beckabeck auf dem Uracher Marktplatz. Bei einer Sommertour auf die Schwäbische Alb gehört das Frühstück beim Beckabeck einfach dazu bevor die Fahrt auf die Albhochfläche geht. Der Uracher Marktplatz mit den mittelalterlichen Fachwerkhäusern ist einer der schönsten Marktplätze in Süddeutschland.
Und wenn auf dem Marktplatz beim Open-Air-Gottesdienst das uralte Lied von Paul Gerhard "Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerszeit ..." erklingt, kann ein Sonntag nicht perfekter sein.
Am Marktplatz befindet sich auch das Alte Oberamt, das in der Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut wurde. 1568 wurde das Gebäude zur Herberge "Zum Goldenen Kreuz". Von 1812 bis 1938 hatte das Gebäude die Funktion des Oberamts.


Gasthaus "Zum Goldenen Kreuz" und später Oberamt Urach

Anno 1619 ist mein Vorfahre Johannes Spring, Fuggerscher Präfekt auf Burg Stettenfels und späterer Pfarrer in Oberstenfeld und Murr, in Urach geboren. Conrad Spring (1503 - 1583), Urgroßvater von Johannes Spring, ist Metzger und Gastgeber (Wirt) "Zum Goldenen Kreuz" gewesen: 'Er hat Haus und Herberge neben dem Kantengießer Eberhard Hüttenschmied'. - Zudem war er Armenpfleger, Ratsherr, Gerichtsverwandter und Hauptmann des ersten Stadtfähnleins (= Bürger der Stadt).
Dass ein familiärer Bezug zur ehemaligen Herberge "Zum Goldenen Kreuz" am Uracher Marktplatz besteht weiß ich erst seit heute. - Künftig wird das Albfrühstück beim Beckabeck mit Blick auf das Haus meiner Vorfahren noch viel besser munden.


.  M  .


Donnerstag, 13. September 2018

Pleidelsheim 1693 - Hans Jacob Hoffmann

Während des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1688 - 1697) lagerte das große französische Heer im Sommer 1693 etwa 5 Wochen bei Großbottwar, Steinheim und Pleidelsheim. Ganz Pleidelsheim suchte sein Heil in der Flucht und hat sich nach den Angaben des Kirchenbuches erst am 7. September "wieder zur Kirch" nach Haus begeben. Die Not war groß, die Häuser waren zerstört, die Feinde hatten alles Eßbare geplündert oder vernichtet. Die große Hungersnot ließ in den Dörfern ganze Geschlechter aussterben.

Mein 8-facher Urgroßvater Hans Jacob Hoffmann (*um 1642 in Annaberg, Sachsen) blieb, wie dem Kirchenbuch zu entnehmen ist, mit seiner Familie in Pleidelsheim. Im September 1693 ist er, seine zweite Ehefrau Anna Schuler (*um 1658 in Sargans, Schweiz) und sein Sohn Johann Conrad (*1691 Pleidelsheim) innerhalb von 8 Tagen verstorben.
Der Pleidelsheimer Pfarrer erachtete es offensichtlich für wichtig, nicht nur den Todestag und das Alter des Verstorbenen zu vermerken, durch seinen Eintrag im Totenregister wissen wir heute, 325 Jahre nach dem Todestag von Hans Jacob, dass er ein "ungetreuer Unterthan und böser Bürger" gewesen ist:
Jacob Hoffmann, der unter den Franzosen geblieben, ein ungetreuer Unterthan und böser Bürger ist bald hernach gestorben 28. Sept. alt 51 Jahr - 

Was ist für den Pfarrer ein ungetreuer Untertan und böser Bürger? War Hans Jacob kein emsiger Kirchgänger und/oder hat er als Untertan gegen Unrecht und Unterdrückung rebelliert? 
Die Lebensumstände prägen den Menschen. Hans Jacob ist während des 30-jährigen Krieges in Sachsen geboren. Sachsen, damals Kur-Sachsen, wurde von Schlachten, Feldzügen und marodierenden Soldaten, aber auch von Hunger und Pest in einem Ausmaß zerstört, das heute kaum noch vorstellbar erscheint. In welchem Alter Hans Jacob nach Württemberg kam ist nicht mehr festzustellen. Er wird erstmals 1663 genannt. Am 17. Februar 1663 heiratete Hans Jacob die in Pleidelsheim lebende Anna Barbara Schaaf, Witwe des Alexander Franz.
Trotz allem muss ich schmunzeln. Hans Jacob ist nur ein ganz ganz kleiner Teil von mir, er war mir beim lesen des Kirchenbuches sofort sympathisch. Ich bin keine Kirchgängerin, betrachte das Tun der Kirchen sehr kritisch und ich würde mich auch nicht für eine treue Untertanin eignen. - Freiheit ist das höchste Gut der Menschen !

.  M  .


Pleidelsheim anno 1686
Forstlagerbuch Andreas Kieser


Sonntag, 26. August 2018

Theodor Christian Körner - Politiker aus Herrenberg

Theodor Christian Körner, 1863 in Lauffen geboren, ist der Urenkel meiner 4-fachen Urgroßeltern Christian Körner (*1779 Sindelfingen) und Elisabeth Friederike Baader (*1783 Steinheim).
Völlig unbedeutend stand er, nur mit Geburtsdatum, zwischen den zahlreichen Sindelfinger Körner-Nachfahren in meinem Stammbaum.
Ahnenforschung ist ein Never-Ending-Hobby, oftmals puzzelt man an irgendeinem Ende ewig herum um weiterzukommen, dann aber gibt es Tage da geht es ganz unverhofft weiter oder bisher Unbekannte tauchen auf wie eine Fata Morgana und bringen bisher unbekannte Vorfahren oder Verwandte.


Theodor Christian Körner
1863 Lauffen am Neckar - 1933 Herrenberg

Dieser bisher so "farblos" wirkende Theodor Christian Körner war Kaufmann, Unternehmer und Politiker. Er war Verleger der Herrenberger Tageszeitung "Gäubote", die heute noch von seiner Familie herausgegeben wird. Von 1919 bis 1920 war Körner Mitglied der 'Verfassungsgebenden Landesversammlung' des neuen Volksstaates Württemberg und gehörte von 1920 bis 1933 als Abgeordneter dem Landtag an. Von 1924 bis 1928 war TC Körner Präsident des Württembergischen Landtags und 1932 bis 1933 dessen Alterspräsident. Außerdem war er von 1920 bis 1928 als Mitglied der DNVP-Fraktion (nationalkonservative Partei in der Weimarer Republik) Abgeordneter im Reichstag.



TC Körner wurde 1928 zum Ehrensenator der Universität Tübingen ernannt. In seiner Geburtsstadt Lauffen am Neckar ist eine Straße nach ihm benannt.

Herzlichen Dank an die bisher unbekannte neue Verwandte Lore, mit der ich nicht nur mütterlicherseits verwandt bin, denn auch die Häussermannsippe vom Hallwilersee (Aargau, Schweiz) und die Banzhafsippe väterlicherseits aus Türkheim (Geislingen/Steige) gehören zu unseren gemeinsamen Vorfahren. Getreu dem Motto der Familie Banzhaf "Immer vorwärts" wird die Ahnenforschung wohl nie ein Ende finden!


. M .

Mittwoch, 22. August 2018

Fantasie & Wirklichkeit oder Abschied für immer

Im Mai habe ich unter Steinheim - das Lämmle & die Lovestory  über Traude und Walter Sänger geschrieben. Das Künstlerehepaar aus Marbach gehört zur entfernten Verwandtschaft.
Walter (*1928) ist bereits 1994 überraschend verstorben, seine geliebte "Schnecki" Traude (*1928) ist ihm nach längerer Krankheit vergangenen Oktober gefolgt.
Im und um das Haus wurde nach dem Ableben von Walter kaum etwas verändert. Das Atriumhaus, außen unscheinbar, aber innen die Wände voll mit bunten Kunstwerken, Collagen, Gemälden, farblich auffallenden Möbeln und Vorhängen, überall der von Traude entworfene Schmuck. Traude hat nahezu alles gesammelt, von einem Blatt über Federn, alte rostige Blechdosen, Bücher, Sand von verschiedenen Stränden und Bonbonpapierchen. Im Garten neben dem Fischteich, in dem immer noch ihre Goldfische schwimmen, stand jahrzehntelang ihr geliebtes Lämmle, das wir inzwischen restauriert und auf ein neues altes Brett gestellt haben, das wir aus einem alten Holzlager einer längst geschlossenen Steinheimer Stuhlfabrik erworben haben.
In den vergangenen Wochen wurde der "Haushalt" und das Lager der ehemaligen Firma "Sängerform" von einem Auktionshaus geräumt. Alles, wirklich alles, steht zum Verkauf. Noch einmal durch das Haus zu wandeln, das ich seit über vier Jahrzehnten kenne, war mir ein Bedürfnis. Ganz ehrlich, ich war mehrmals dort .... die Schränke und Kartons steckten voller Überraschungen, vom Gesangbuch bis zu uralten Familienfotos, Ketten, Broschen, Federn, Collagen, Traudes farbenfrohe Kleider und Hüte .... es war ein Abschiednehmen für immer. Oder doch nicht ganz, denn ich erwarb eine Sitzgruppe samt Tisch, spanisch antik aus dem 19. Jahrhundert, mit Samt in pink gepolstert. - Bei keiner Schwäbin der alten Generation, außer eben bei Traude, standen so auffällig gepolsterte Sitzmöbel im Wohnzimmer. 
Das Lager von Sängerform war übervoll mit Modeschmuck und Stoffen, mit Bergen von Rohmaterial und alten Schmuckmustern der Messestände. Der Schmuck wurde von Traude entworfen, von fleißigen Marbacherinnen in Heimarbeit hergestellt, verpackt und auf internationalen Messen in London, Mailand, Paris, Berlin und Stuttgart verkauft. - Dieses Imperium wurde jetzt von Kaufinteressenten durchwühlt und geplündert. Eine Million Schmuckstücke etwa, schrieb die Marbacher Zeitung in ihrem Artikel Eine Schatzkammer wird aufgelöst mit dem der Verkauf angekündigt wurde.
Der Auktionator ist von der Vielfalt und dem Können der Sängers begeistert, ein Teil des Nachlasses wird im September auf einer Auktion in Stuttgart angeboten. Was mir an dem adeligen Auktionator gefällt, er hat auch ein Auge für die einfachen materiell wertlosen Dinge aus dem Leben von Traude und Walter, so wie diesen von Traude kunstvoll geschriebenen Text. Er hat auch das Berichtsheft von Walter aus seiner Lehrzeit bei der Firma Porsche "gerettet".


Aus dem Fundus von
Walter Sänger.
Nicht die Flucht aus der
Wirklichkeit ist für mich
faszinierend, sondern
die Gegenwart! -----
Die Fantasie ermöglicht das
fast Unmögliche ----
Entwickle dich ständig
bis zum Tod - Verrücktes
tun damit sich normales
entwickeln kann       T.

Mit einem großen T. wie am Ende des Textes,
signierte Traude ihre Kunstwerke, Briefe und
persönlichen Geschenke,
ein einfaches T mit Punkt
oder auch ganz schwungvoll.

Wir sind gespannt auf die Zukunft des Hauses, von Innenarchitekt Walter Sänger selbst entworfen und eingerichtet. Wer wird das Haus erwerben? Muss das Haus einem Industriebau weichen? Oder wird das Haus von neuen Eigentümern in diesem Stil erhalten und bleibt es weiterhin mit Kunst verbunden?
Ich setze mich jetzt ganz "wirklich" in einen der pinkfarbenen Sessel von Traude, denke an die gute alte Zeit mit ihr und Walter und vielleicht springt die eine oder andere "verrückte" Idee auf mich über ....

.M.

schon geht es los, ich signiere ab heute mit Punkt M Punkt

.M.




Firmenlogo von SÄNGERFORM



Freitag, 3. August 2018

4711 - immer dabei

"4711 immer dabei" hieß der Slogan des Parfüms und "4711" war fast das einzige Parfüm in Mini- und Großflaschen das man zu meiner Kinderzeit auf dem Land kannte. Das inzwischen große Angebot an internationalen Parfüms in Drogerien und Parfümerien hat "4711" so ziemlich verdrängt.

Doch plötzlich hing es über mir, hoch oben in der Altstadt von Schwäbisch Hall: "4711 Parfümerie Klein". Das Schild aus längst vergessener Zeit wurde bei Schließung der Parfümerie nicht abgehängt. Als ich wieder nach Schwäbisch Hall kam war inzwischen die Tourist-Information in die ehemalige Parfümerie Klein umgezogen und das historische Schild behielt weiterhin seinen Platz hoch oben über den Köpfen der Besucher der Salzsiederstadt, getreu dem Motto: "4711 immer dabei".


ehemalige Parfümerie Klein

Donnerstag, 26. Juli 2018

Melchior Fuchs - Stadtbrand Marbach 1693

Als sich während des Pfälzischen Erbfolgekriegs (1688 - 1697) französische Truppen Ende Juli 1693 der Stadt Marbach näherten, flüchteten viele Bewohner. Die Franzosen rückten in die unverteidigte Stadt ein, plünderten, misshandelten und ermordeten die nicht geflohenen Bewohner. Die Stadt wurde an mehreren Stellen angezündet und brannte nahezu vollständig ab. Die Alexanderkirche und wenige, meist außerhalb der Stadtmauern gelegene Gebäude überstanden die Zerstörung.


anno 1686 - Marbach vor dem Stadtbrand
Forstlagerbuch Andreas Kieser

Besonders tragisch sind die Todesumstände von Melchior Fuchs, Bruder meines Vorfahren Hippolyt "Pältin" Fuchs (1623 - 1694), der von seiner Familie bereits auf den Wagen gesetzt worden war, aber wieder "davon heruntergetan und zurückgelassen" wurde.
Möglicherweise wegen seines Alters, möglicherweise war Melchior Fuchs schwer erkrankt. Damals ging eine Seuche, "die Kopfkrankheit" um, welche die Erkrankten derart schwächte, dass sie wochenlang ans Bett gefesselt waren und nicht einmal "den Kopf heben konnten". Einige Marbacher starben an der Seuche.
Die Hoffnung, der Feind werde den zurückgelassenen Kranken nichts tun, erfüllte sich nicht. Sie wurden teilweise grausam mißhandelt. Als am Abend des 28. Juli 1693 die Stadt brannte, versuchte Melchior Fuchs, aus dem Haus auf die Gasse zu kommen. Die zurückgekehrten Bürger fanden seine Leiche in der Strohgasse liegend, beim geistlichen Verwaltungskeller und den Häusern - besser gesagt, den Ruinen der Häuser - von Johann Christoph Hemminger und Johann Kodweiß. Melchior Fuchs war verbrannt.
Einige der Geflohenen kehrten nicht wieder zurück, von den übrigen erlebten etliche den darauffolgenden Winter nicht, da neben den Häusern auch die Vorräte vernichtet worden waren. Auch Hippolyt "Pältin" Fuchs starb an den Strapazen der Flucht und dem Hungerwinter. Nach 1.478 Einwohnern im Jahr 1692 wurden 1695 in Marbach nur noch 609 gezählt.



Dienstag, 10. Juli 2018

Ludwigsburg - Rückkehr der vergessenen Namen

Mit dem Artikel Rückkehr der vergessenen Namen kündigt die Ludwigsburger Kreiszeitung die nächste Stolpersteinverlegung in der Kreisstadt an. Die sechs neuen Stolpersteine erinnern an Menschen aus Ludwigsburg, die 1940 aufgrund ihres Gesundheitszustandes in Grafeneck grausam ermordet wurden.
Für Lina Peukert, Julius Weber, Mathilde Spindler, Pauline Schenk, Karl Merkle und Richard Wagner werden am kommenden Donnerstag an ihrem letzten frei gewählten Wohnort Stolpersteine verlegt. In Ludwigsburg liegen dann über 60 Stolpersteine.

Julius Weber und Karl Merkle fuhren mit unserem Opa Adolf und weiteren 72 Männern am 16. Juli 1940 mit den grauen Bussen von der Heilanstalt Weinsberg in die Tötungsanstalt Grafeneck und wurden dort noch am selben Tag grausam ermordet. Vor der Kirche der Heilanstalt Weinsberg - Klinik am Weissenhof für Psychiatrie erinnert ein Gedenkstein an die 908 Patienten die in die Tötungsanstalten der Aktion T4 nach Grafeneck und Hadamar deportiert wurden.


Im Gedenken der 908 Kranken die 1940/41 von den
Nationalsozialisten ermordet wurden

Auf der Webseite der Initiative Stolpersteine Ludwigsburg gibt es einen Flyer über die Veranstaltung mit den Lebensgeschichten der sechs Opfer an die nun gedacht wird. In einem würdevollen Rahmen werden die Lebensgeschichten der Ermordeten erzählt und die Gedenkfeiern werden musikalisch begleitet. - Mit meiner Familie nehme ich an den Gedenkfeiern teil.

"Euthanasie": kaum ein Begriff ist so zynisch pervertiert worden wie dieser. Der "gute Tod", seit dem Nationalsozialismus ist er euphemistisches Synonym für hunderttausendfachen Mord. Schätzungen zufolge starben 300.000 Psychiatriepatientinnen und -patienten durch Gas, Hunger oder Vergiftung, als erste Gruppe der bedrohten Minderheiten wurden diese Menschen Opfer des NS-Regimes und seiner Helfer. Die Tatsachen sind bekannt, doch - vielleicht liegt es am Stigma Psychiatrie - erinnert man sich ihrer öffentlich selten und selbst in der eigenen Familie nicht immer gerne. 
"Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst", dieser Satz trifft in besonderer Weise auf die Opfer der NS-Euthanasie zu, denn obwohl sich in der wissenschaftlichen Forschung seit
Beginn der 1990er Jahre ein verstärktes Interesse an den Opfern selbst und nicht nur an den Tätern und ihren Motiven abzeichnet, finden die psychisch kranken und geistig behinderten Menschen in der öffentlichen Diskussion der nationalsozialistischen Verbrechen kaum Beachtung.

Als ich per Zufall das grausame Schicksal meines Schwiegeropas entdeckte, überlegten wir uns wie wir damit umgehen. Übereinstimmend kamen wir ganz schnell zu dem Ergebnis, dass wir offensiv damit umgehen, denn viel zu lange wurde über den Opa geschwiegen. Und heute, fünf Jahre nach der Entdeckung, stehen wir immer noch voll hinter dieser Entscheidung, auch wenn von Irgendwoher der Einwand kommt, man solle nicht so viel darüber reden oder die anderen 6 Enkel ihren Opa weiterhin verschweigen. 




Montag, 2. Juli 2018

Familie Bauer aus Steinheim - Auswanderung

Johann Jacob Bauer (1838-1917), Kind einer zwölfköpfigen Familie aus Steinheim, wanderte mit seiner Frau Katharina Barbara Albrecht (1841-1924) und vier Kindern im Alter von 14, 12, 9 und 3 Jahren nach Amerika aus. Sie erreichten ihr Zielland Kansas vermutlich nicht mehr mit einem der großen Trecks, sondern schon mit der Eisenbahn. Sie ließen sich in einem Landstrich nieder, der einstmals Indianervölkern den Kiowa, Cheyenne oder Ponca gehörte. Riesige Büffelherden zogen noch durch das Land und Dodge City wurde zur Cowboy-Stadt, die u. a. von den Revolverhelden Wyatt Earp und Doc Holliday besucht wurde. In Clay County konnte die Familie 320 acre Land erwerben (ca. 15 ha, 1 acre entspricht ca. 4047m2). Sein Sohn Wilhelm Jacob Bauer übernahm das Land nach dem Tod des Vaters und konnte weitere vier Farmflächen mit je 160 acres hinzukaufen. Unter äußerst schwierigen Bedingungen – sehr kalte Winter, heiße, trockene Sommer mit vielen Tornados – machten sie das Land urbar und wurden sesshaft. - Viele derer, die es ebenfalls versucht hatten, Schätzungen liegen bei 60%, mussten ihre hoffnungsvollen Pläne aufgeben.




Katharina Barbara und Johann Jacob Bauer 


Dienstag, 26. Juni 2018

Russland - gestern & heute

Gestern war der 74. Todestag meines Großvaters Rudolf. - Mein Großvater fiel in Russland zu Beginn der Operation Bagration bei Bobruisk. Drei der vier Divisionen des rund 40.000 Mann starken 53.Korps in Witebsk unter General Friedrich Gollwitzer durften auf Hitlers Erlaubnis hin am 25. Juni 1944 "ausbrechen" - doch die russischen Stoßkeile standen da schon 80 Kilometer weiter im Westen, die Ausbrecher fanden sich überall umzingelt, liefen in Sperren, wurden bombardiert, aufgerieben, getötet oder ergaben sich......



- Deutscher Soldatenfriedhof in Costermano sul Garda -
eine von 833 Kriegsgräberstätten in 46 Ländern die vom
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge betreut werden

Meine Mutter hat, verständlicherweise, kein Faible für Russland und der Russe war und ist bei ihr der Feind. Trotzdem bestellte ich vor etwa 40 Jahren beim staatlich russischen Tourismusamt ein Prospekt über die Transsibirische Eisenbahn. Die Transsib hinter dem Eisernen Vorhang faszinierte mich wohl auch deshalb, weil sie ein völlig unbekanntes Land durchquerte und unerreichbar schien. Für mich blieb es bisher bei diesem Prospekt und einem Buch über diese Eisenbahn.

In den vergangenen Wochen fuhr meine Tochter mit der Transsibirischen Eisenbahn von Novosibirsk nach Irkutsk, weiter in die Mongolei nach Ulaanbaatar und über Ulan-Ude zurück nach Novosibirsk. Zuhause kamen immer wieder Fotos von Bahnstationen entlang der Strecke samt Kurzberichten an. Auch Fotos vom Baikalsee, von buddhistischen Tempeln und dem monumentalen Reiterstandbild des Dschingis Khan. 

Auch wenn ich es bis heute nicht geschafft habe mit der Transsib zu fahren so ruckelte doch mein Pullover in Stephanies Rucksack unendlich viele Eisenbahnkilometer durch Russland! 
Sie hat in Russland und der Mongolei viele Freundschaften geschlossen. Die jungen Menschen lassen sich von dem nicht akzeptablen Tun der Politiker in Europa nicht beeinflussen und das ist auch gut so. 



Sonntag, 3. Juni 2018

Jede Generation bewundert die Urgroßväter - Quo vadis, Europa?

Aus einem Zitat des englischen Schriftstellers William Somerset Maugham: "....jede Generation bewundert die Urgroßväter."
Zwei meiner Urgroßväter kämpften im 1. Weltkrieg in Frankreich, die beiden anderen Urgroßväter waren wohl zu alt um für das Kaiserreich in den Krieg zu ziehen. Heute vor 100 Jahren wurde mein Urgroßvater Gottlob Andreas Albrecht nach einer Verwundung bei Brimont (Reims) in das Lazarett nach Aschersleben, Sachsen-Anhalt, verlegt. Mitte Dezember wurde er nach Hause entlassen. An der sehr langen Aufenthaltsdauer sieht man, dass es eine schwere Verwundung gewesen sein muss.
Ein Granatsplitter zerfetzte sein rechtes Bein, nach der Amputation blieb nur ein Stumpf übrig, eine Holzprothese wurde angepasst und er lernte wieder gehen. Nach seiner Genesung hatte er für seine 5-köpfige Familie zu sorgen. Der 2. Weltkrieg machte fünf seiner Enkel zu Halbwaisen und zwei Enkel zu Vollwaisen, die Sorge um die nächste Generation ging weiter. 30 Jahre lang arbeitete er mit seiner schweren Kriegsverletzung auf seinen Feldern und Wiesen, im Weinberg und im Viehstall um die große Familie durchzubringen. Bewundernswert!


"Returning to the Trenches"

Morgen fahre ich in die Südvogesen auf den Hartmannsweilerkopf. Die Elsässer nennen den Hartmannswillerkopf "Menschenfresser" oder auch "Berg des Todes". Der Berg war Schauplatz blutiger Kämpfe im 1. Weltkrieg, schätzungsweise 25.000 bis 30.000 deutsche und französische Soldaten fielen in den Schützengräben auf dieser 956 Meter hoch gelegenen Bergkuppe.

Soldatenfriedhöfe und Gedenkstätten aus beiden Weltkriegen sollen zum Frieden mahnen. Und während ich diese Zeilen schreibe marschieren amerikanische Truppen mit schwerem Kriegsgerät Richtung Russland um in Osteuropa bis zum Beginn der Fußballweltmeisterschaft ein meiner Meinung nach provokatives Manöver abzuhalten. Europa ist nicht mehr was es einst war, es droht zu zerfallen. Anschläge, Angriffe auf unsere Polizei, Morde, Vergewaltigungen und Überfälle nehmen seit 2015 drastisch zu. Wir brauchen inzwischen auch in kleinen Kommunen private Sicherheitsdienste. - Quo vadis, Europa?




Samstag, 19. Mai 2018

"Gerechtigkeit und Friede liebe ich" - Fünf Jahre 'Back to the Roots'

Vor genau 5 Jahren begann ich diesen Blog, der erste Beitrag war über die Hankertsmühle im Rottal bei Mainhardt im Schwäbischen Wald. Heute schreibe ich wieder über die Hankertsmühle, es ist mein 374. Beitrag auf diesem Blog. In diesen 5 Jahren kamen weitere Informationen über die Mühle meiner Vorfahren Klenk hinzu.
Und fast auf den Tag genau fand ich in der Südwest Presse einen Zeitungsartikel über die Hankertsmühle mit dem Titel: "Ein Hort der Erholung und des Grauens".
Und auch hier stellt man wieder fest, dass früher nicht alles besser war, wie wir oftmals unüberlegt vor uns hinsagen. Im Gegenteil, es waren grausame Zeiten. Die Unterlagen in den Archiven erzählen von Mord und Totschlag, Hunger, Krankheit und Not in der Mühle. - Nach der Schlacht bei Nördlingen im September 1634 verwüsteten herumziehende Soldatentruppen das Land, auch die Hankertsmühle wurde geplündert, dem Müller Lienhardt Klenk der "Schwedische Trank" gewaltsam eingeflößt. In einem Brief ist die Rede von "ain Korn Simri Wasser", das sind 22,153 Liter Flüssigkeit, vermutlich Jauche.
Lienhardt hat diese grausame Tortur nicht lange überlebt. Ob er direkt an den Folgen oder danach an Hunger oder Pest starb, die ebenfalls grassierte, ist nicht überliefert. Gott habe ihn schließlich und "etliche" seiner Kinder von ihren Qualen erlöst, heißt es in einem Brief von Jacob Wieland, der die Mühle 1640 zusammen mit seinem Schwiegervater Jacob Dietrich gekauft hat. Lienhardts Frau und zwei Kinder haben offenbar überlebt.


Zu den wenigen Überresten der Mühle gehört eine Sandsteinsäule mit der von den Wielands stammenden Inschrift: "Gerechtigkeit und Friede liebe ich".

Nicht weit entfernt von der Hankertsmühle verlief der Limes, die Außengrenze des Römischen Reiches mit einem Kleinkastell. In den nächsten Wochen liegt mein Fokus auf der Römerzeit. Die Recherchen beginnen nächste Woche mit "Salben und Düfte der Antike" am Limestor Dalkingen. Dieses einzigartige römische Triumphalmonument am Obergermanisch-Rätischen Limes zählt zu den eindrucksvollsten Ruinen. "Salben und Düfte der Antike" gehören zum Kinderprogramm des Limesmuseum Aalen und ist für mich Vorbereitung auf meine Betreuertätigkeit beim nächsten Sommerferienprogramm in Marbach/Neckar mit dem Thema "Zeitreise". Im Schwäbischen Wald und auf der Ostalb gibt es vielerlei Spuren der Römer: Grenzzäune, Wachttürme, Kastelle und Museen mit freigelegten Grundmauern denen ich bisher keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe.


Wachtturm bei Geißelhardt


Doppelt lebt, wer auch Vergangenes genießt.

- Marcus Valerius Martial, römischer Dichter - 



Dienstag, 15. Mai 2018

Schwäbisch Hall - Kruzifix in St. Michael

Die Michaelskirche, die mit ihrer berühmten Treppe majestätisch über dem Marktplatz thront, wurde am 10. Februar 1156, im Jahr nach der Kaiserkrönung des Staufers Friedrich Barbarossa, vom Bischof von Würzburg  als romanische Basilika geweiht. 



St. Michael mit der berühmten Treppe
 auf der im Sommer Freilichtspiele stattfinden


Zu den herausragenden Werken der spätgotischen Kunst im Innern der Kirche gehört das überlebensgroße Kruzifix des Ulmer Bildhauers Michel Erhart. Es ist signiert und 1494 datiert.



Kruzifix von Michel Erhart - anno 1494

Michel Erhart, Bildhauer der Spätgotik, gehört zu meinen berühmten Vorfahren aus Ulm. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass die Werke der Erharts nach über 500 Jahren noch sehr gut erhalten sind und in Kirchen und Museen besichtigt werden können. 


Dienstag, 8. Mai 2018

Steinheim - das Lämmle & die Lovestory

Das Lämmle vom Gasthaus Lamm in Steinheim stand einst auf einer "Nase" an der Fassade des Gasthauses und ist vor etwa 55 Jahren verschwunden. Nach einem Beitrag zur Heimatkunde über Gasthäuser in Steinheim aus dem Jahr 2011 soll es in einem Marbacher Garten sein.


das Lamm vom Gasthaus Lamm

Vor ein paar Wochen ist das alte Lämmle in Marbach "entlaufen" und hat bei mir eine neue Heimat gefunden. Aber wie kommt das Steinheimer Lämmle in einen Marbacher Garten?
Die kleine Traude, Jahrgang 1928, kam mit ihrem Vater, dem Marbacher Sattler Oscar Hammer, per Fahrrad oft durch Steinheim und sie erfreute sich immer wieder an dem Anblick des Lämmle am Gasthaus Lamm gegenüber dem Rathaus. Vater Oscar musste vor dem Gasthaus anhalten, damit seine Traude bei jeder Fahrradtour "ihr Lämmle" bewundern konnte.

Inzwischen erwachsen geworden und jung verheiratet, kam Traude nach Steinheim und ihr geliebtes Lämmle stand nicht mehr auf seinem Platz. Sie war enttäuscht, das Lämmle aus Kindertagen nicht mehr anzutreffen. Ihrem jungen Ehemann Walter tat seine junge Frau so leid, dass er am Gasthaus klingelte um sich nach dem Verbleib des Wirtshausschildes zu erkundigen.
Eine Frau kam ans Fenster und rief herunter "mir hend gschlossa." - "Wo ist das Lämmle", wollte Traude wissen. Die alte Dame ging mit Traude und Walter in den rückwärtigen Stall und dort stand das Lämmle in einem Futtertrog. Die Freude über das Wiedersehen war riesengroß. Da der Gasthausbetrieb eingestellt war, aber immer wieder hungrige und durstige Leute im Gasthaus einkehren wollten und an der Haustüre klingelten, wurde das Lämmle entfernt. Walter erwarb das Lämmle und es fand bei ihm und Traude ein neues Zuhause.

Im Jahre 1966 wurde das Gasthaus Lamm wieder eröffnet, das alte Wirtshausschild war aber unauffindbar, ein neues Lämmle wurde am Gasthaus angebracht. Als wir 1967 die Konfirmation meines Bruders im Lammsaal feierten wusste ich noch nichts vom verschwundenen Lämmle. Einige Jahre später sah ich das Lämmle im Garten bei Traude und Walter. Die Künstlerin hatte ihr Leben lang Freude an ihrem Steinheimer Lämmle das jahrzehntelang über den Gartenteich hinweg in ihr Wohnzimmer blickte. Wir waren immer wieder fasziniert wenn Traude ganz theatralisch über die Sonntagsausflüge mit ihrem Vater und von ihrer Enttäuschung über das fehlende Lämmle erzählte, wie sie mit der früheren Lammwirtin in den Stall ging und wie sie sich freute als sie das Lämmle im Futtertrog entdeckte. Noch größer war ihre Freude als sie das Lämmle mit nach Hause nehmen durfte. 

In Steinheim wusste man, dass das alte Lämmle vom Lamm in einem Marbacher Garten steht. Aber wo genau wusste zum Glück niemand. Ich behielt dieses Geheimnis samt der „Lovestory“ für mich um zu verhindern, dass man Traude das Lämmle abschwätzte.
Im Oktober letzten Jahres ist Traude im Alter von 89 Jahren verstorben, bis zu ihrem Todestag waren sie und das Lämmle unzertrennlich, ihr geliebtes Lämmle aus Steinheim war über 50 Jahre lang immer in ihrer Nähe.


die Restauration beginnt

Das Lämmle hat einige Blessuren, das alte Bodenbrett muss ersetzt werden, die Muttern an den rostigen Schrauben sind nicht mehr zu öffnen, ein Huf ist beschädigt und die Beulen müssen aus dem Blech gezogen werden.


die Hufe werden restauriert



Der goldfarbene Anstrich sollte entfernt und das Lämmle vergoldet werden. Unter der Goldfarbe kam jetzt ein roter Anstrich hervor. War das Lämmle nicht golden sondern rot? Können sich alte Steinheimer noch an das Lämmle erinnern? Ich machte mich auf die Suche während das Lämmle auf dem Weg in eine Dorfschmiede war um an den Hufen  repariert zu werden. Zwei Steinheimer, Mitte 70, können sich noch gut an das Lämmle erinnern. Rot? Nein, rot war es nicht, eher grünlich-grau. Grünlich-grau? Vermutlich durch die Oxydation des Kupferkörpers. Einer der Informanten wohnte als Bub über der Gaststätte, seine Großeltern waren damals die Wirtsleute im Lamm, der Opa starb 1960, die Oma im Jahr 1964. Es war wohl seine Oma von der Traude das Lämmle bekommen hat.
Er erinnerte sich auch, dass immer mal wieder Post mit der Anschrift "Zum goldenen Lamm in Steinheim" ins Haus kam. Also war das Lämmle doch vergoldet!

Das Gasthaus Lamm hat seit 1598 eine Herbergskonzession. Wie alt das Wirtshausschild ist, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen. Es gibt noch eine etwa 200 Jahre alte Chronik in Privatbesitz. Die Recherche und Restauration geht also weiter.



Dienstag, 3. April 2018

Württemberger Lederhose - Furchtlos und Treu

Rund um den Erdball herum kennt man sie: die Lederhos'n oder auch Krachlederne genannt. Man denkt dabei an Bayern und an Oktoberfeste. Und die Württemberger blickten mit etwas Neid auf die zünftigen Beinkleider der Bayern. 
Wir Württemberger haben jetzt unsere eigene Lederhos'n. Verziert mit dem alten Württemberger Wappen samt dem Wappenspruch der württembergischen Könige.







"Furchtlos und Treu"
Wappenspruch der württembergischen Könige






Donnerstag, 29. März 2018

Ulm - Kulturerbe Münsterbauhütte

Die Ulmer Münsterbauhütte gehört zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands. Nächstes Jahr soll die Nominierung zum internationalen Kulturerbe folgen.
"Seit Jahrhunderten bewahren Dom- und Münsterbauhütten, wie etwa in Ulm, Freiburg oder Köln, Handwerkstechniken, tradiertes Wissen und Bräuche in Zusammenhang mit dem Bau und Erhalt von Großkirchen und führen diese bis in die Gegenwart fort", begründete die Deutsche UNESCO-Kommission die Entscheidung.
Die Ulmer Bauhütte zeigt mit ihren hochspezialisierten ausgebildeten Handwerkern, der lückenlosen Dokumentation und engen Verbindung zur Stadtgesellschaft, wie immaterielles Kulturerbe in Deutschland modellhaft erhalten und weitergegeben werden kann.


Münsterbauhütte in Ulm - rechts das Münster 

Mein Vorfahre Ulrich von Ensingen (1352 - 1429) war Baumeister der süddeutschen Gotik. Ihm wurde 1392 die Bauleitung am bereits 1377 begonnenen Ulmer Münster übertragen.
Sein Vorhaben, den höchsten Kirchturm des christlichen Abendlandes zu errichten, sprengte alles bisher Gekannte. Die geniale Konzeption seines Turmes brachte ihm eine Berufung nach Straßburg (1399) ein, ohne jedoch die Bauleitung am Ulmer Münster aufzugeben.
Sein Sohn Matthäus und die Enkel Vincenz und  Moritz waren ebenfalls am Bau des Ulmer Münsters und an anderen Kirchen beteiligt. Sie arbeiteten in Bern, Basel, Konstanz, Straßburg und am Martinsmünster in Colmar.
Das Ulmer Münster ist die größte evangelische Kirche Deutschlands, der 1890 vollendete Turm mit 161,53 Metern ist der höchste Kirchturm der Welt.



Donnerstag, 8. März 2018

Oberstenfeld 1914 - Ende der Ära Kayser

Die Ära der aus Möckmühl stammenden Handelsleute Kayser in Oberstenfeld begann 1769 mit meinem 5-fachen Urgroßvater Johann Jacob Kayser und endete 1914 mit dem Tod seines Urenkels Karl Otto Kayser (*1844).
Karl Otto Kayser betrieb das Handelshaus Kayser in vierter Generation "außen im Dorf neben der Beilsteiner Landstraße, vornen auf die Creutz straßen stoßend". Das Haus wurde 1794 um 900 Gulden erworben. Die "Creutz straße" ist die heutige Lichtenberger Straße, zu der erworbenen Baulichkeit gehörte damals noch ein Kuhstall, ein Schweinestall und ein Waschhäusle dazu. Das sind die Vorgängerbauten der jetzigen Seniorenbegnungsstätte und Bücherei. Ein Hofplatz und ein Garten schlossen sich an.


Ortsbücherei und Seniorenbegegnungsstätte Oberstenfeld
war einst das Handelshaus Kayser auf die "Creutz straße" stoßend

Auch die nach dem Handelshausgründer folgenden Generationen hatten einen guten Ruf in Oberstenfeld. Johann Gottlieb Balthasar (1770 - 1816) wird mit erst 26 Jahren Ratsverwandter. Seine Ehefrau Johanna Friederike, Tochter des Ochsenwirts und Schultheißen Johann Friedrich Ziegler bringt Beträchtliches als Heiratsgut mit. So kann das junge Paar dringende Reparaturen an den Gebäuden durchführen lassen und das ganze Anwesen auf die Bedürfnisse eines Handelshauses umrüsten.
Von den sechs Kindern die Johanna Friederike zur Welt bringt, kommen drei ins Erwachsenenalter. Der Stammhalter trägt wieder die Leitnamen der Familie, er heißt Johann Gottlieb und ist am 4. April 1798 geboren, am Geburtstag des glücklichen Vaters. Doch der Vater kann sich nicht mehr allzulange am Familie, Haus und Erfolg freuen. 1816 stirbt er im Alter von 46 Jahren. Der Sohn, der das Geschäft übernehmen soll, ist erst 18 Jahre alt. 
Er bringt zum Glück schon einige Erfahrung im Beruf des Kaufmanns mit, als er nach dem Tod des Vaters so plötzlich in die Verantwortung gestellt wird. Mit Willen und Tatkraft zeigt er sich der großen Aufgabe gewachsen. Er heiratet die Beilsteiner Ochsenwirtstochter Luisa Friederike Cast. Bei der Hochzeit 1826 ist sie knapp 19 Jahre alt und auch sie bringt ein beträchtliches Heiratsgut ins Haus Kayser. Der Stammhalter heißt auch wieder Johann Gottlieb (*1827). Die Mutter stirbt überraschend am 12. Januar 1835 an Nervenfieber. Für den Vater ein schwerer Schlag, er kann sich lange nicht entschließen wieder zu heiraten.  Er stürzt sich in die Arbeit und wird 1839 zum Schultheißen ernannt. Acht Jahre nach dem Tod seiner Ehefrau heiratet Johann Gottlieb wieder, eine Müllerstochter aus Söhnstetten im Oberamt Heidenheim. Am 10. August 1844 wird Otto Karl geboren. Der Älteste aus der ersten Ehe scheint sich zuhause nicht mehr wohlzufühlen. Im Alter von 18 Jahren rückt er aus nach Amerika. Der Vater wartet vergeblich auf die Heimkehr des Sohnes. Johann Gottlieb junior, die Hoffnung für die Zukunft des Handelshauses wird er nicht mehr wiedersehen. Wenige Wochen später stirbt seine zweite Frau, er ist mit dem 1-jährigen Otto und der 14-jährigen Charlotte allein, doch das Geschäft geht unverändert weiter. Mit 22 Jahren wird die Tochter Diakonisse und verlässt das Elternhaus. Am 1. Februar 1866 stirbt Johann Gottlieb Kayser, der weit über das Bottwartal hinaus bekannt geworden ist. Sein Tod wird selbst im Stuttgarter Staatsanzeiger und im "Schwäbischen Merkur" bekanntgegeben. 
Nach dem Tod des Vaters melden sich die beiden Ältesten aus den USA wegen ihrem Erbe. Friederike Charlotte war mit dem evangelisch lutherischen Prediger Ludwig Ebert aus Minnesota verheiratet. Der Sohn lebte und arbeitete als Kunstmaler in New Jersey. Doch das Heimweh zieht ihn später wieder in die alte Heimat. Er wohnte bei seiner Tante Sophia Magdalena in Oberstenfeld, sie war zuvor als Herrnhuter Schwester in Kuba und Nordamerika. 

Karl Otto führte in vierter Generation ab 1866 das Handelshaus weiter. Auch er nimmt eine Gastwirtstochter zur Frau: Maria Luise Walz aus dem "Waldhorn" von Abstatt. Sie war eine gute Frau, die in Oberstenfeld viel Segen gestiftet hat. - Sie kam zehnmal ins Wochenbett, doch sind dem Ehepaar nur die Töchter Anna (1871-1942) und Clara (1873-1960) geblieben. Vom "alten Kayser" Otto sind über die Jahrzehnte manche Geschichten lebendig geblieben. Er traf sich regelmäßig mit seiner Männerrunde "Rauchclub Vesuv" im Gasthaus zum "Stern" neben dem "Ochsen". Otto Kayser hatte eine besonders schöne Tabakspfeife. Unterhalb des Mundstücks war das Bild seines stolzen Anwesens auf einen Porzellanring aufgemalt. Der Pfeifenkopf selbst zeigte Oberstenfeld mit Stiftskirche und Lichtenberg.
Im großen Salon in der Wohnung über den Geschäftsräumen trafen sich alljährlich an Weihnachten die Honoratioren des Dorfes, darunter die adeligen Damen aus dem Stift. Die beiden Töchter wachsen zu Damen heran, stets etwas distinguiert, mit Abstand. Einmal bemühte sich Kaufmann Pfannkuch um Clara. Der Name Pfannkuch wurde später durch seine große Ladenkette bekannt. Doch Vater Kayser widerstrebt es, seine Tochter einem Mann mit dem Namen Pfannkuch zu geben. Den Hinweis auf dessen Besitz tut er ab mit den Worten: "Was der an Vermögen hat, kann ich aus jedem Eck herauskratzen!" So werden aus den beiden Damen allmählich "alte Mädchen". - Mit Otto Karls Tod 1914, dem Tod seiner Frau im Jahre 1933 und dem Tod der Töchter geht die Geschichte einer Familie zu Ende, die für die Gemeinde Oberstenfeld und die gesamte Umgebung von Bedeutung war.


(aus dem Buch: Oberstenfeld in Geschichte und Geschichten Band I)





Oberstenfeld 1771 - Handelsmann Jacob Friderich Kayser

Im Jahr 1771 wird in bester Ortslage ein Haus feil. Jacob Friderich Kayser, gerade drei Jahre in Oberstenfeld, greift sofort zu und kauft "eine zwey stöckigte Behausung und Hofraithung, item einen gewölbten Keller unterm Hauß, samt zwey c. v. (cum venio = mit Verlaub) schweineställ mitten im Dorf, zwischen David Zieglers Hauß und der Entengassen, stoßt forne auf die Marcktstrasen". - Es ist das Haus an der Ecke der jetzigen Großbottwarer und der Raiffeisen Straße, nur drei Häuser von seinem Konkurrenten Kodweiß entfernt. Fast 200 Jahre war es "Handelshaus", heute steht dort das Gebäude der Volksbank Backnang.
Es wird mit allem gehandelt, was im Flecken gebraucht wird, vor allem mit Stoffen verschiedener Art: Barchent, Zeugle, Berliner Flanell, Golgas, gefärbte Bique, Crepp, Ziz, Cotton, halb Biber, Zwilch, Renforces, Allianz-Band und andere Stoffe. Auch verschiedenes Eisen: Zahn-, Hufstab-, Faßreif-, viereckiges Eisen. Die Firma ist also gut sortiert.


Herstellung von Zwilch oder Zwillich - ein dichtes und strapazierfähiges Gewebe

Der Vorfahre ist auch im Grundstückshandel aktiv. In den Kaufbüchern erscheint immer öfter sein Name, wenn Gebäude, Äcker, Weinberge und Wiesen ihren Besitzer wechseln und er zugreifen kann.
Er wird reich und selbstsicher. Man sieht es seiner schwungvollen Handschrift an, die er unter die Kaufverträge setzt. Da sticht oft der ungelenke Namenszug des Verkäufers daneben ab oder die drei Kreuzchen, dabei der Vermerk "weil er des Schreibens ohnerfahren". Ja, er bringt es zu Reichtum und  auch damit zu Ansehen.
Als 22-jähriger sitzt er bereits im Gericht und Gemeinderat. Der Protokollführer und auch der Pfarrer setzen in den Kirchenbüchern seinem Namen von jetzt an immer das "HE." voran: "Herr"! Er wird 1771 mit 12 zu 15 Stimmen zum "Zweiten Burgermeister" gewählt, der für alle Baumaßnahmen im Dorf verantwortlich ist. Jahre später werden ihm die Gemeindefinanzen anvertraut und er trägt den Titel "Erster oder Oberburgermeister".
Auch die Kirchengemeinde, aufs engste mit der bürgerlichen Gemeinde verbunden, braucht den erfahrenen, gewandten Kayser. Schon seit 1644 gibt es den "Kirchenkonvent" als Instrument zur Überwachung von Zucht und Sitte in den Gemeinden. Dem Gremium gehören Pfarrer, Schultheiß, Kirchenpfleger und zwei Gemeinderäte an. Bei einer Nachwahl 1780 für den Kirchenkonvent in Oberstenfeld fällt die Entscheidung einmütig für "HE. Johann Friedrich Kayser, des Gerichts, Burgermeister und Handelsmann allhier, welchem solches eröffnet und von im ohne Bedenken gerne angenommen worden".

Seiner Ehefrau Rosina Magdalena bleibt nicht viel Zeit sich im Ruhme ihres Mannes zu sonnen. Von 1770 bis 1790 kommt sie nicht aus dem Windelwaschen heraus: neun Geburten, verteilt auf 20 Jahre. Doch nur vier der Kinder kommen ins Erwachsenenalter. Ihr arbeitsreicher Alltag und ihre Sorge um Haus und Familie sind des Erinnerns wert.

Im Januar 1810 stirbt Jacob Friderich Kayser mit 62 Jahren. Seine Witwe behält eine Hälfte des Hauses, der übrige Besitz wird aufgeteilt und verlost. Die andere Hälfte des Geschäftshauses fällt an  den jüngsten Sohn Philipp, damals noch "der Handlung beflissen", also Lehrling. Er führt das Geschäft weiter. Der zweitjüngste Sohn Johann Carl erwirbt das Gasthaus zum Stern (heute Metzgerei "Ochsen"). Er stirbt 38-jährig kinderlos.

Die 1783 geborene Tochter Christine Magdalene ist meine Vorfahrin, sie heiratete 1805 den Oberstenfelder Johann David Ziegler (*1776), Sohn des Schultheißen Leonhard Balthasar Ziegler.


(aus dem Buch: Oberstenfeld in Geschichte und Geschichten Band I)