"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." - Wilhelm von Humboldt

Samstag, 20. Mai 2017

Kriegsgefangenenakte aus Russland

Vor 4 Jahren begann ich diesen BLOG mit einem Beitrag über Leonhard Klenk aus der Hankertsmühle im Rottal. Ich schreibe heute den 338. Beitrag auf meinem BLOG und zum 4. BLOG-Geburtstag sollten die neuesten Fotos von der Hankertsmühle hier erscheinen.
Pläne sind dazu da, dass man sie ändert, denn heute kam Post vom Generalsekretariat Suchdienst des DRK München und der Inhalt des Briefes ist mir heute wichtiger als die Hankertsmühle.

Vor 3 Jahren machte ich mich auf die Suche nach den Vorfahren eines Freundes. Ich bekam einen Karton mit vielen alten Familienfotos, Feldpostbriefen und Totenzetteln seiner Urgroßeltern und seines Großvaters Hermann. Am Ende der Recherche entstand eine interessante und sehr weit zurückreichende Familiengeschichte mit Familienfotos, Totenzetteln, Feldpostbriefen und einer Kostenberechnung über 50 Pfund feine Leberwurst aus Hermanns Schulheft von der Meisterschule der Metzger.

"gestorben anfangs August 1944 im Lazarett in Russland" stand unter Hermanns Foto auf dem Totenzettel, er wurde nur 31 Jahre alt, hinterließ Eltern, seine junge Frau und zwei kleine Kinder. Mehr wusste die Familie nicht über seine Kriegsgefangenenzeit und wo er bestattet wurde.

Die Recherche ist für mich aber erst beendet, wenn das Schicksal eines Soldaten geklärt ist. Es ist einfach ein Muss, alle Suchmöglichkeiten zu nutzen. Das sind wir den Soldaten schuldig, die nach dem Krieg nicht mehr zu ihren Familien nach Hause gekommen sind. Die Onlinesuche beim Volksbund war erfolglos, deshalb stellte ich einen Suchantrag beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes. Heute kam also in einem großen Briefumschlag die ersehnte Antwort aus München. Wo sonst eine Briefmarke klebt war der Brief mit dem Vermerk gestempelt: SERVICE DES PRISONNIERS DE GUERRE - KRIEGSGEFANGENENPOST GEBÜHRENFREI

Der Brief enthielt Karteikarten aus dem Frontaufnahmelager und aus dem Lazarett. Die Kriegsgefangenenakte besteht aus einem Fragebogen des russischen Innenministeriums über die persönlichen Daten, über die Familie, die soziale Herkunft (Besitzstand der Eltern), Besitzstand des Kriegsgefangenen, schulische Bildung, berufliche Kenntnisse, Militärausbildung, Dienstgrad, Dienststelle, Fremdsprachenkenntnisse, Verwandtschaft in der UdSSR, Gerichtsverfolgung, Auszeichnungen, Datum und Ort der Gefangennahme. Der Obergefreite Hermann S. kam am 6. Oktober 1943 bei Newel (Gebiet Pskow) in russische Gefangenschaft. Am 27. Oktober 1943 hat Hermann im Frontaufnahemlager Nr. 41 den Fragebogen unterschrieben. Er kam am 5. Dezember 1943 aus Ostaschkow in das Lager 158 nach Tscherepowez. Die Akte enthält außerdem einen Totenschein vom 3.August 1944 mit der Todesursache "Dystrophie 3. Grades" und einen Bestattungsschein vom 5. August 1944 des städtischen Friedhofes Tscherepowez, im Gebiet Wologda, 500 km nördlich von Moskau.

Auf dem städtischen Friedhof im Südwesten der Stadt wurden die Kriegsgefangenen, die im Lager von Tscherepowez verstarben, beigesetzt. In der Nachkriegszeit wurde die Parzelle der Kriegsgefangenen durch Beisetzung von Ziviltoten vollständig überbettet. Auf dem Friedhof ruhten: 2.830 Deutsche, 26 Spanier, 109 Finnen, 7 Moldauer, 8 Italiener, 9 Litauer, 44 Polen, 76 Ukrainer, 152 Österreicher, 43 Letten, 13 Franzosen, 16 Jugoslawen, 434 Ungarn, 400 Rumänen, 23 Tschechen, 9 Japaner, je 1 Russe, Holländer, Este, Amerikaner, Luxemburger, Schweizer und Belgier. Insgesamt 4.206 Kriegsgefangene. - Freund und Feind im Tod vereint.
Im Jahr 2007 hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. einen Gedenkplatz für alle dort ruhenden Kriegsgefangenen gebaut.

Tod durch Verhungern wurde mit Dystrophie 3. Grades umschrieben. Der Lagerspiegel vom Lager Tscherepowez beschreibt die damaligen Verhältnisse: Unterkunft in Baracken, schlechte und vollkommen unzureichende Verpflegung, kaum Medikamente und Verbandszeug. Der Arbeitseinsatz ging über 10 Stunden täglich in der Holzverarbeitung, beim Torfstich, bei Erdarbeiten, in der Metallzeche, in der Kolchose und im Pferdelazarett.
90 % der Patienten starben an Fleckfieber, Ruhr, Typhus, Tbc, Dystrophie, Ödemen, Erfrierungen und Unfällen.

Die russischen Dokumente werden von meine Tochter für Hermanns Tochter Ursula übersetzt. Die Ungewissheit über sein Schicksal ist damit nach 73 Jahren beendet.


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