'Der Schneider von Ulm' ist bei uns in Württemberg ein bekannter Begriff, zumindest hörte man früher immer wieder den Spottvers: "Dr Schneider von Ulm hots fliega probiert, do hot en dr Deifl en'd Donau neigführt."
Baden-Württemberg ist das Land der Tüftler und Erfinder. Unter ihnen ist Albrecht Ludwig Berblinger (1770 - 1829) die tragische Figur. Der Schneider aus Ulm baute einen Hängegleiter, der tatsächlich fliegen konnte. Doch als er ihn dem König vorführen wollte, stürzte Berblinger ab und wurde zum Gespött.
1811 - der Kupferstich von Johannes Hans ist eine der wenigen
historischen Darstellungen von Berblingers Fluggerät
Niemand weiß wie der Schneider Berblinger auf die Idee kam, das Fliegen zu probieren. Man kennt nur mögliche Vorbilder: die Brüder Montgolfier, deren Heißluftballon 1783 zur ersten bemannten Fahrt aufgestiegen ist. - Ein Jahr später baute Carl Friedrich Meerwein einen beweglichen Flugapparat mit beweglichen Schwingen, aber es gelang ihm nicht zu fliegen. - Jakob Degen kombinierte einen Schlagflügler mit einem Wasserstoffballon und stieg 1808 über dem Wiener Prater auf.
Berblinger wollte nicht fliegen wie ein Spatz, er baute einen halbstarren Hängegleiter, mit dem er den Gleitflug schaffen wollte. Augenzeugen berichteten von erfolgreichen Flügen am Michaelsberg hinter der Stadt.
In den Wirren des Napoleonischen Krieges wurde die einstige Reichsstadt Ulm dem König von Württemberg als Beute zugeteilt. Im Mai 1811 kam König Friedrich I. zum ersten Staatsbesuch nach Ulm, er war nicht sonderlich beliebt, sein Jähzorn war gefürchtet. Er wollte sein rückständiges Land mit aller Macht in den Fortschritt der neuen Zeit treiben. So fiel dem Schneider Berblinger die Heldenrolle zu: Er sollte seine Majestät mit einem Flug über die Donau beeindrucken.
Als Berblinger auf das Gerüst über der Adlerbastei stieg, war noch nicht einmal das Fahrrad erfunden. Die atemberaubenden Veränderungen des Lebens sollten erst in der Zukunft einsetzen: die zweirädrige Laufmaschine von Karl Drais (1825), in England dampfte die erste öffentliche Eisenbahn für Personen über die Schienen (1825) und 1891 flog Otto Lilienthal mit seinem Hängegleiter im Havelland.
Am 31. Mai des Jahres 1811 leistete sich Albrecht Ludwig Berblinger die größte Blamage. Vor aller Augen stürzte er ab. Die Sensation blieb aus, der Utopist lag in der Donau. Die württembergische Zensur kontrollierte die Berichterstattung, kaum eine historisch ernst zu nehmende Notiz kam in den Zeitungen. Die Kunde des Scheiterns verbreitete sich auf anderen Wegen, Karikaturen und Spottverse machten die Runde.
Der Flugpionier überlebte den Absturz, aber seine bürgerliche Existenz war ruiniert. In seinem Handwerk kam er nicht mehr auf die Füße. Seine Neigung zu Alkohol und Kartenspiel wurde aktenkundig. Am 28. Januar 1829 starb Albrecht Ludwig Berblinger an Abzehrung und wurde in einem Armengrab beerdigt.
1906 erschien der historische Roman "Der Schneider von Ulm" des Ingenieurs und Schriftstellers Max Eyth. Er entwirft ein neues Bild Berblingers. Aus dem Spinner und Fantasten macht er einen mutigen Pionier. 1952 erschien in einer Schweizer Zeitschrift für Luftfahrttechnik ein Aufsatz von Otto Schwarz. Er beschäftigte sich mit den thermischen Verhältnissen an der Adlerbastei. Er zeigte, dass der Zusammenfluss von Donau und Iller auch bei wärmstem Wetter stetigen Abwind zur Folge hat. Wegen der senkrechten Befestigungsmauer entwickelt sich Gegenwind nicht zum Aufwind, sondern zum Wirbelwind. Kurz gesagt: Berblinger war an einem denkbar schlechten Ort gestartet.
175 Jahre nach Berblingers Absturz gab es einen Flugwettbewerb zu Ehren des Pioniers am historischen Ort. Trotz Verwendung moderner Materialien für die möglichst originalgetreu gebauten Fluggeräte fielen 29 der 30 Starter in die Donau. Nur Holger Rochelt schaffte es über die Donau, bei der Landung kugelte er sich den Arm aus ....
Denkmal für Albrecht Ludwig Berblinger - Adlerbastei in Ulm
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